Der Mann, der sein Leben vergaß
schaute Destilliano fragend an.
»Ich habe noch nie darüber nachgedacht«, sagte er dann stockend.
»Das ist ein Fehler! Man soll den Onkel der Erbnichte, die man liebt, etwas genauer betrachten.«
Dr. Albez wurde äußerst verlegen und blickte zu Boden. Nervös spielte er an den Knöpfen seines Anzuges. Wie Anita, mußte Destilliano unwillkürlich denken.
»Verzeihen Sie mir diesen Vertrauensbruch, Professor«, meinte Dr. Albez leise. »Ich wollte schon längst vor Sie hintreten und Ihnen gestehen, daß …«
»… daß Sie Anita lieben. Das weiß ich schon längst! Auch eure nächtlichen, gegenseitigen Besuche sind mir bekannt. Ich habe bis heute nichts gesagt, ich habe es geduldet, da Sie ein fabelhafter Kerl sind und der beste Mann für die kleine Anita.«
»Herr Professor …«
»Still! Über die Frage sprechen wir später in Lissabon bei einer alten, guten Flasche. De facto nur so viel: ich sage Ja! – Jedenfalls sollten Sie sich aber Gedanken machen, woher das Geld für den großen Haushalt kommt.«
»Sie sind berühmt, Professor …«
»Berühmt! Für Ruhm bekommen Sie keinen Peseta! Ich kenne Berühmtheiten, die verhungerten! Denken Sie an Mozart, Schubert, an Schiller! Sehen Sie sich das Schicksal des Cervantes an – und dem alten Shakespeare ging es nicht besser! Der Name ist ein Dreck, wenn Sie vor leeren Tischen sitzen! Man muß da schon nachhelfen!«
Sie waren während dieses Gespräches in eine enge Seitengasse eingebogen und hielten vor einem einstöckigen, schuppenähnlichen Haus. Destilliano schloß die quietschende Tür auf und trat ein. Völlige Dunkelheit umgab sie. Erst als Destilliano eine Petroleumlampe anzündete, erhellte sich fahl der fensterlose Raum.
Dicker Staub lag auf dem Fußboden aus festgestampftem Lehm. An den Wänden standen, bis zur Decke gestapelt, große und kleine Holzkisten. In der Mitte des großen Raumes wackelte ein breiter Tisch, auf dem auch inmitten fingerdicken Staubes die Petroleumlampe qualmte.
»Bevor wir weitergehen, möchte ich unser Gespräch zu Ende führen«, sagte Destilliano und schüttelte den Staub von seinen Händen. »Sie sind erstaunt, wo Sie sich befinden.«
»Allerdings bin ich das«, gab Albez ehrlich zu und sah sich um. »Wie ich sehe, ein Lagerschuppen.«
»Sehr richtig! – Doch wo waren wir eben stehengeblieben? Ach so – man muß dem eitlen Ruhm pekuniär nachhelfen. Ich habe mich deshalb in einige Geschäfte eingelassen, von denen Zoll und staatliche Exportkontrolle nichts wissen.«
Dr. Albez schüttelte den Kopf und klopfte an die Kisten.
»Voll!« meinte er lakonisch. »Die Kisten sind voll!«
»Sehr richtig! Sie enthalten alle ein geheimes Präparat gegen den Bazillus der Tuberkulose.«
»Aber warum denn geheim? Professor – wenn dieses Mittel, ein Medikament gegen die Schwindsucht, das von Ihnen stammt …«
»Sie haben recht …«
»… wenn dieses Mittel Tausenden, vielleicht Millionen hilft, dann sind Sie doch ein Wohltäter der Menschheit!« Aus Dr. Albez sprühte ein begeisterndes Feuer. »Wenn Sie diese Geißel der Menschheit wirksam bekämpfen, sind Sie der Retter millionenfachen Lebens! Warum dann geheim und ungesetzlich?«
Professor Destilliano lächelte und lehnte sich an einen Kistenstapel.
»Schon wieder der Ruhm! Sie haben einen viel zu idealen Begriff vom Leben, lieber Doktor. Hätte ich mein probates Mittel angemeldet und staatlich schützen lassen, wäre es sofort zu einem Staatsmonopol ernannt worden und mir aus den Händen geglitten. Ich hätte eine Abfindung und einen laufenden Prozentsatz des unkontrollierbaren Umsatzes erhalten, und nach kürzester Zeit wären auf dem Weltmarkt imitierte oder gar verbesserte Medikamente der Konkurrenzen erschienen. Erfolg: der große Gedanke wäre verwässert. So aber halte ich allein das Geheimnis in den Händen, hüte es wie den Stein der Weisen, erobere mir illegal den Weltmarkt ohne jegliche Konkurrenz und verdiene Millionen! Süd-, Mittel- und Nordeuropa habe ich schon fest in der Hand, nach Osten und Südosten laufen bereits meine Agenten, und Asien wird über den lohnenden Umweg von Australien aus erobert.«
Dr. Albez staunte ehrlich, seine Augen aber strahlten.
»Das ist ja gewaltig, Professor! Und wenn ich mit Ihrer Begründung der Illegalität nicht ganz einig bin, so muß ich doch sagen: Sie haben Großes geleistet!«
»Und Größeres soll noch folgen«, sagte Destilliano stolz. »Und dabei sollen Sie mir helfen!«
Dr. Albez blickte erstaunt auf
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