Der Mann, der sein Leben vergaß
Verbrechens, in den ich hineinglitt. Da vollbrachte ich meine größte Leistung – die Einfuhr und Herstellung neuer Rauschgifte in Europa! Ich lieferte das gefährliche Haschisch aus dem Libanon, das schreckliche Dagga aus Afrika, das teuflische Takruri aus Tunis und meine Glanzleistung – das Elixier der Hölle: Marihuana aus Mexiko! Damit war ich konkurrenzlos, einmalig, der König der Rauschgiftschmuggler. Auf den Kisten aber stand harmlos ein chemisches Präparat! Ja, das war ein Triumph – auf den Knien lagen sie vor mir, diese Menschen, und beteten mich an. Ich wurde ein Gott für die Süchtigen, ein Heiliger für die Verfallenen.«
»Entsetzlich …«
»Ja, entsetzlich, Anita! Ich kaufte nach dem Tode Doktor Albez' …«
»Was?!« Anita war emporgezuckt und schrie auf. Ihr Körper schwankte, ihre Augen waren wie leblos. »Fernando ist tot …?!«
Destilliano nickte.
»Ja, Anita … seit drei Jahren.«
»Aber Fernando ist doch vor zwei Wochen …«
»Er ist nicht Doktor Albez«, sagte Destilliano langsam. »Doktor Fernando Albez starb vor drei Jahren an Herzschlag durch Angina pectoris. Du lebtest damals in Teneriffa. Der Mann, der seit einem Jahr das Leben Doktor Albez' weiterlebt, seine Sprache spricht und seine Schrift schreibt, ist ein Holländer, Pieter van Brouken.«
Fassungslos, das Ungeheuerliche nicht begreifend, sank Anita auf ihren Stuhl zurück.
»Pieter van Brouken?« stammelte sie abwesend. »Fernando …« Sie stockte. Sie begriff nicht, sie bebte, sie fühlte sich taumeln und in einen Nebel untertauchen.
»Dein Fernando ist van Brouken. Er fiel an einem heißen Junitag 1923 in Amsterdam in Ohnmacht und erwachte als Doktor Albez. Er ist der Mann, der sein Leben vergaß – er lebt im Unterbewußtsein, er ist nicht mehr sein Ich, sondern ein Fremder – sein Bewußtsein spaltet sich … er ist ein Rätsel psychologischer Wissenschaft!«
»Und Fernando …« Das Mädchen schrie es und wollte das Ungeheuerliche nicht begreifen.
»Nur ein Name, Anita. Den du liebst und Fernando nennst, ist Pieter. Der richtige Fernando, den du kaum kennst, ist längst zu Erde geworden.«
»Und er weiß nichts davon – mein Fernando?«
»Er kann es nicht wissen, denn er hat ja die Seele Doktor Albez' in sich.«
»Und José Biancodero?« Anitas Augen waren gläsern vor Grauen.
»Lebt auch! Verzeih – er lebte! Er war ein kleiner, armer Schriftsteller in Sevilla, den ich durch einen – Freund einlud, eine kleine Reise zu machen. Auf dieser – Reise ist er leider verschollen! Es war um die Zeit, als dein Fernando in Lissabon eintraf – wie gut konnte er da den Namen Biancodero tragen.«
»Mörder!« Grauenvoll klang das Wort aus Anitas Mund.
»Ja, Mörder! Doch du mußt anerkennen, daß meine Klugheit nicht zu schlagen war. Ich hatte einen Menschen, der drei Leben lebt und den ich drehen konnte, wie ich ihn brauchte. Als Irrer ist er auf jeden Fall unangreifbar, unfehlbar, tabu! Er war der beste Mann, das Schmugglerschiff zu führen.«
»Das Schiff …« Anita zitterte und hielt sich mit beiden Händen den Mund zu. »Die Jacht, die meinen Namen trägt, die Fernando fährt …«
»… enthält nicht Medikamente für Tuberkulose, sondern Rauschgift vom Acedicon bis zum Marihuana! Und Doktor Albez, der Pieter van Brouken ist und Biancodero heißt, führt es seit einem Jahr zwischen Lissabon, Las Palmas und Amsterdam hin und her!«
»Ahnungslos?«
»Ahnungslos!«
»O du, du …« Anita war aufgesprungen und rannte im Zimmer hin und her. »Und du bist mein Onkel … dich liebte, dich verehrte ich?! Zu dir blickte ich empor … du warst mir Vater, Mutter … alles … du … du … Satan!«
»Anita!« Destilliano stand auf und trat näher. »Hör mich an.«
»Rühr mich nicht an!« schrie das Mädchen gellend auf. »An deinen Fingern ist Blut! Und er fährt hin und her, seit einem Jahr, ahnungslos und denkt, ein gutes Werk zu tun! Und fährt den Tod! O wie ekelhaft, wie grauenvoll …« Und plötzlich zuckte sie auf und rannte zur Tür. Doch Destilliano war schneller und stellte sich ihr entgegen.
»Wohin?« sagte er mit einer unheimlichen Ruhe.
»Zur Polizei!« schrie Anita. »Ich kann mit keinem Teufel leben!«
In Destilliano kehrte die alte Kraft der Überlegung und der Selbstbeherrschung zurück. Das verhaßte Wort Polizei machte ihn nüchtern, klar und eiskalt. Mit einer Bewegung seines Armes schleuderte er Anita ins Zimmer zurück und verriegelte die Tür.
»Ich habe dir mehr gesagt,
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