Der Mann, der sein Leben vergaß
von nichts … ihn muß ich retten.
»Fernando!« schrie sie laut. »Leb wohl, Fernando!«
Dann riß sie den kleinen Wagen herum, drückte das Gaspedal tief herab und schoß aus der Felsenstraße heraus, gerade in dem Augenblick, in dem Selvano mit seiner Limousine vorsichtig in den Seitenweg einbog.
Verblüfft und im Moment ratlos sah Selvano plötzlich einen leuchtenden Pfeil an sich vorüberschießen und in der Dunkelheit verschwinden.
»Was war denn das?« sagte er laut und erstaunt.
»Der Sportwagen!« schrie der Fahrer. »Er hat gewendet!«
»Zurück!« Selvano brüllte und beugte sich vor. »Zurück und mit äußerster Kraft ihr nach!« Und als der Fahrer den schweren Wagen wieder auf der Straße hatte, kletterte der Kommissar über die Sitze nach vorn und drückte den Sergeanten zur Seite. »Lassen Sie mich ans Steuer!«
Aufheulend schoß der schwere Wagen vorwärts, Selvano blendete die starken, doppelten Scheinwerfer auf.
Der Kommissar starrte auf die Straße. Die Scheinwerfer des kleinen Sportwagens vor ihm waren verschwunden.
»Ein Aas!« murmelte Selvano und hieb das Gaspedal herunter. »Ein tolles Aas! Hat die Scheinwerfer aus und rast blind durch die Nacht.«
Anita blickte in den Rückspiegel. Sie konnte das Näherrücken der starken Scheinwerfer beobachten.
Sie wußte, daß ein Entkommen unmöglich war. In spätestens zehn Minuten mußte der starke Wagen sie überholt und gestellt haben. Als Mörderin ihres Onkels hatte sie keine Hoffnung mehr – ihr einziger und letzter Gedanke war nur die Rettung Fernandos.
Plötzlich fühlte sie eine große Leere in ihren Gedanken. Eine Leere, die alles gleichgültig und merkwürdig lächerlich werden ließ. Die Selbstverständlichkeit ihres rasend näherrückenden Todes machte sie zur Fatalistin, es war so selbstverständlich, jetzt zu sterben, daß sie lächelnd den Kopf schütteln mußte über die bisherige Mühe, das Leben zu behalten.
Steil führte die Straße in das nahe Gebirge. Sie wurde eng und schmal, bog vom nahen Strand ab und schlängelte sich über ein weites Felsplateau. Zur See hin fielen die Felsen abrupt ab.
Fernando, dachte Anita, wenn du morgen alles erfährst, so verfluche mich nicht. Was hättest du auch von einer Frau gehabt, die Kokain und Morphium nimmt und ohne Gift nicht mehr leben kann? Es ist besser, Fernando, glaube es mir, es ist besser so … du wirst glücklicher sein in deinem zweiten Leben … Und auch ich, ich bin glücklich … so glücklich.
Mit starren Augen riß sie das Steuer herum und jagte auf den zum Meer hin abfallenden Felsen zu.
»Sie stürzt sich ins Meer!« brüllte Selvano und bremste. »So habe ich mir das Ende nicht vorgestellt.«
Mit geschlossenen Augen hockte Anita hinter dem Steuer, während der Wagen auf den Abgrund zuraste.
»Fernando«, flüsterte sie. »Verzeih … bitte, verzeih …«
Sie fühlte, wie der Wagen über den Steilhang hinausschoß, die Räder mahlten in der Luft, sie fiel … fiel … es brauste um sie … »Oh«, schrie sie … »oh …«, und dann war alles nur Dunkelheit, aus der ein heißer, stechender Schmerz durch den Körper jagte …
Oben auf dem Plateau hörte Antonio de Selvano den Aufprall des Autos auf die Felsen, ein Aufklatschen auf dem Wasser und ein langsam ersterbendes, helles Zischen.
Erschüttert stieg er aus der Limousine und schaute in die schwarze Nacht. Er konnte sich Anitas Selbstmord nicht erklären.
Im Zentralkommissariat zur Bekämpfung des Rauschgiftschmuggels herrschte eine gedrückte und dumpfe Stimmung.
Antonio de Selvano und Primo Calbez saßen sich seit einer Stunde gegenüber und sprachen nicht miteinander. Das dicke Aktenstück vor ihnen war aufgeschlagen und schien schuld an der tiefen Verstimmung zu sein.
»Was nützen mir Ihre dummen Schachteln mit Dilandid, Dolantin, Dicodid und Acedicon – wir können niemals den Nachweis erbringen, daß sie geschmuggelt wurden«, sagte Selvano endlich ärgerlich und schielte zu Calbez hinüber.
»Aber ich fand sie auf der Jacht Anita!«
»Wieviel denn – eine halbe Kiste! Ein halbes Kistchen! Acedicon und Dolantin! Wenn schon! Das bekommen Sie in jeder Apotheke!«
»Aber nur auf Rezept. Der freie Besitz dieser Medikamente ist strafbar!«
Selvano winkte ab.
»Nicht der Rede wert! Außerdem war Destilliano Arzt und berechtigt, eine bestimmte Menge Narkotika zu besitzen.«
»Aber die Laderäume zeigten außerdem deutlich Spuren einer großen Ladung!«
»Können Sie nachweisen, daß
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