Der Mann, der sein Leben vergaß
Manolda …
Eine drückende Schwüle lag über Dakar. Zwar war das Klima dieses Hafens schon immer berüchtigt gewesen, und eine Versetzung in dieses Fieberloch galt in der französischen Armee als eine Strafe, doch das Wetter an diesem Oktobertag des Jahres 1929 übertraf selbst die dunkelsten Ahnungen pessimistischer Poilus, die am Hafen standen und ein Fallreep bewachten, über das vor ein paar Minuten ein deutscher Kaufmann aus Santa Cruz in Begleitung dreier Beamter der Sûreté geschritten war.
»Merde«, sagte einer der Soldaten und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Steht man da wegen eines Lumpen in der Sonne! Was hat er eigentlich gemacht?«
Der andere Poilu zuckte die Schultern.
»Was wird's schon sein? Hat ein bißchen mit ›Schnee‹ gehandelt. Als ob das ein Verbrechen wäre! Was wäre das Leben in dieser Fieberhölle, wenn man nicht des Abends sein Pfeifchen mit den braunen Kugeln hat oder das nette Pülverchen des Vergessens. Was bedeutet es, daß man zehn Jahre früher als sonst vor die Hunde geht, das Leben ist eine grande cocotte!«
Der erste blickte seinen Kameraden scheel von der Seite an. Philosophie am Rande der Wüste ist die einzige Unterhaltung, dachte er. Kenne ich von der Fremdenlegion her. Da liegen sie auf ihren Matten in den Wüstenforts, die Knarre im Arm, und träumen. Wie gut, daß die Mischlingsmädchen nicht so spröde sind … man könnte sonst irrsinnig werden …
Aber er antwortete nicht. Achselzuckend drehte er sich wieder um und blickte weiter auf das weiße Schiff.
Im Inneren des Kahns saß in einer verschlossenen Kabine, deren Bullauge von außen zugeschraubt war, Baron v. Pottlach und spielte mit den Fingern. Sein Monokel hatte er eingebüßt, aber sein weißer Anzug und seine ganze Haltung hatten das Aristokratenhafte behalten, und auch, als er jetzt aufstand und mit kleinen Schritten den Raum durchmaß, wirkte er wie ein Luxusreisender, nicht aber wie ein Gefangener, zehn Stunden vor seiner Auslieferung und seinem Urteil von etlichen Jahren Zwangsarbeit in den Steinbrüchen von Portugals Küste.
Sinnend blieb Baron v. Pottlach stehen und betrachtete den in der Kabine aufgestellten Schreibtisch. Er war herausklappbar in die Kabinenwand eingelassen und enthielt eine Feder, einen Stapel Papier und ein Fläschchen Tinte. Ferner lagen neben einem kleinen Petroleumkocher Siegellack und ein Siegelpetschaft.
Baron v. Pottlach mußte lächeln. »Man denkt an alles«, murmelte er. »Das Geständnis des Verbrechers, geschrieben in der verriegelten Luxuskabine des Dampfers Liberté!« Er lachte laut und setzte sich dann doch an den Schreibtisch, spielte mit dem Papier und drehte den Federhalter in den Fingern.
Dann schrieb er in flotten Schriftzügen mitten über ein Blatt:
»Mein Geständnis.«
Als die beiden Worte auf dem Papier standen, hielt er wie erschreckt inne und betrachtete die Worte, indem er sie wie ein Bild weitab von seinen Augen mit ausgestreckten Armen hielt.
Mein Geständnis! Was habe ich überhaupt zu gestehen? Ist mein Geständnis nicht gleich meine Anklage? Was weiß man denn schon in Lissabon von mir? Meine Freundschaft zu Manolda? Der Gute ist tot – er kann nicht mehr aussagen. Meine Rauschgiftaffären? Es wird schwer sein, mir da etwas nachzuweisen. Die Beobachtung Biancoderos in Azenhas do Mar? Auch dafür werde ich eine Erklärung finden. Der Mord an Juan Permez? Hier stockte Baron v. Pottlach und starrte wieder auf das Wort ›Geständnis‹.
Wer kann mir den Auftrag nachweisen? Wer hat den Mörder erkannt?! ist er nicht längst in Timbuktu, im dunkelsten Afrika, in der Filiale, die das Dagga, das noch ziemlich unbekannte, viehische Rauschgift, in den Orient schleust?!
Oder ob man doch etwas weiß?! Ob dieser Dr. Albez weiß, daß in Timbuktu das Dagga hergestellt wird?!
Baron v. Pottlach wurde unsicher. Er spielte wieder mit dem Federhalter und kaute auf seiner Unterlippe. Man müßte das alles bagatellisieren. Man müßte dastehen wie ein Gezwungener, wie ein Erpreßter, wie ein Willenloser. Doch dieser ›wahre Schuldige‹ dürfte nicht mehr sprechen. Und das wäre eine blendende Rolle für den Konsul Manolda …
Baron v. Pottlach lachte vor sich hin. Es war doch gut, dachte er weiter, daß ich sofort nach der Abfahrt Dr. Albez' unserer westeuropäischen Zentrale in Amsterdam telegrafisch den Auftrag gab, im Namen des Konsuls Manolda ein Telegramm an Dr. Albez nach Dakar zu schicken. So wird man in Lissabon den Eindruck haben,
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