Der Mann, der sein Leben vergaß
daß man sich die ganze Zeit auf falscher Fährte befand, daß der Konsul Manolda noch lebt und daß man mich zu Unrecht festgenommen hat. Man könnte dann auch schön alles auf den ›Mann in der Ferne‹ abschieben und selbst den Antrag auf Freiheitsberaubung stellen.
Von Pottlach ergriff das Papier mit den Worten: ›Mein Geständnis‹ und drehte den Petroleumkocher an. Dann hielt er das Blatt über die kleine, flackernde Flamme und beobachtete mit einem lächelnden Wohlbehagen, wie sich das Blatt unter der Hitze wölbte, sich braun färbte und schließlich nach einer blassen Flamme zu weißer Asche zerfiel.
In diesem Augenblick klopfte es an der Tür, und die drei Beamten der Sûreté traten ein.
»Monsieur«, sagte der eine. »Ich habe den Auftrag, Sie davon zu unterrichten, daß die Leiche des Verunglückten in Lissabon als die Leiche des Konsuls Manolda identifiziert worden ist.«
»Nein!« Baron v. Pottlach verfärbte sich und setzte sich auf das Bett. Seine Hände zitterten. Das ist Bluff, schrie es in ihm. Laß dir nichts anmerken – man will dich weich machen.
»Leider doch«, sagte der Beamte. »Leider – für Sie! – Die Leiche wurde, nachdem man sie in einen Sack genäht hatte, in der Nähe von Monsieur Biancoderos Villa in einer Höhle gefunden. – Sie wissen doch, daß die Leiche aus dem Grab gestohlen wurde?«
Baron v. Pottlach schüttelte den Kopf. Seine Augen waren unnatürlich weit aufgerissen. Plötzlich fühlte er, daß er auch schwitzte, und wußte, daß es kalter Schweiß war, ekliger, kalter Angstschweiß vor der Gerechtigkeit …
»Ich weiß von nichts«, sagte er stockend. »Ich habe Manolda zum letztenmal …«
Der Beamte schnitt ihm mit einer großen Armbewegung die Rede ab.
»Sie singen uns das alte Lied vor, Monsieur«, sagte er schroff. »Es wird langsam langweilig. Erfinden Sie eine besser klingende Melodie – sagen Sie einfach die Wahrheit!«
»Es ist die Wahrheit!« schrie v. Pottlach plötzlich grell und sprang auf. Die Tünche seiner Erziehung und seiner Stellung fiel jäh ab. »Es ist die Wahrheit – aber ihr wollt ein Opfer haben! Ein Opfer, das ihr für eure dumme Gerechtigkeit abschlachten könnt! Sucht euch doch den Schuldigen, aber laßt mich in Ruhe! – Ich werde kein Wort mehr sprechen!«
Damit drehte er den Beamten den Rücken zu und beschäftigte sich anscheinend angestrengt mit dem Federhalter. Achselzuckend verließen die Beamten der Sûreté die Kabine und riegelten sie hinter sich hörbar ab.
Was tun? schoß es v. Pottlach durch den Kopf. Ist das wahr, daß man die Leiche wiedergefunden hat, so bin ich rettungslos verloren. Plötzlich überdachte er mit einer erschreckenden Logik seine Lage und fragte sich, warum er überhaupt verhaftet worden sei. Und da gab es nur eine Möglichkeit: Die Bewacher vor Dr. Albez' Villa mußten von Selvano oder Primo Calbez gefangen worden sein und hatten den Namen des Auftraggebers genannt. Waren sie aber in den Händen der Polizei, so war auch die Leiche wieder in deren Besitz, denn nur wenige Stunden vorher war sie von den gleichen Männern aus dem Grabe entfernt worden!
Plötzlich wußte v. Pottlach, daß man ihn nicht geblufft hatte, daß die Leiche vorhanden war, daß er sein Spiel zu Ende gespielt hatte!
Baron v. Pottlach stand auf und trat vor den großen Anziehspiegel, der an einer Seite des eingebauten Kleiderschrankes eingelassen war. Mit Wohlgefallen betrachtete er seine große, massige Gestalt mit dem scharfen Gesicht.
Er verbeugte sich vor sich selbst, ging dann langsam zum Bett und riß das Bettlaken heraus. Aus ihm drehte er ein Seil, knotete es unter der Deckenlampe fest, indem er den Lampenhaken benutzte, stieg dann auf einen Stuhl und legte sich das Ende des Lakens, das zu einer Schlinge gedreht war, um den Hals. Plötzlich besann er sich, stieg vom Stuhl herunter, legte Schlips und Kragen ab und kletterte dann wieder auf den Stuhl. Dort blickte er noch einmal in den Spiegel und sah nur noch seine Beine auf dem Stuhl. Da mußte er lachen.
»Ja, ja, wir Pottlachs – wir wollten immer hoch hinaus«, sagte er lustig – dann trat er den Stuhl unter sich mit einem kräftigen Stoß weg.
Dr. Albez hatte sich auf der ganzen Rückfahrt nach Lissabon überlegt, ob er Selvano von dem Telegramm Manoldas etwas sagen sollte. Schließlich war er zu dem Entschluß gekommen, darüber zu schweigen und zunächst einmal persönlich in Amsterdam zu sehen, was eigentlich hinter seinem Rücken in der Stille
Weitere Kostenlose Bücher