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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß
Autoren: John O'Farrell
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geschlagene zwanzig Minuten kostete. Maddy rief ihre Eltern an und entschuldigte sich, und dann zitierten wir abwechselnd Jeans beste Sprüche, über die sich die Kinder an Weihnachten so köstlich amüsiert hatten. »Weißt du was, Ron? Vaughan klappt nach dem Pipimachen immer den Klodeckel herunter«, imitierte Maddy die Stimme ihrer Mutter. »Ron pinkelt jedes Mal die ganze Brille voll; du hast deinen Penis wesentlich besser im Griff, nicht wahr, Vaughan?«
    »Oh, das ist eine meiner zahllosen Qualitäten, von denen meine Schwiegermutter ihren Freundinnen vorschwärmt. Mein penibler Penis, mein geniales Genital.«
    »Vaughan, warum zeigst du Ron nicht mal, wie man beim Pipimachen seinen Penis hält?«
    Ich erkundigte mich nach Maddys Arbeit, und als sie die Frage erwiderte, berichtete ich ihr lang und breit von dem Durchbruch, den ich bei meiner schwierigsten Schülerin erzielt hatte, und kriegte mich gar nicht mehr ein vor lauter Begeisterung darüber, dass ich ihr endlich davon erzählen konnte: »… und dann stand Tanika auf und sprach vor der ganzen Klasse über den Tod ihres Vaters und die falsche Darstellung in den Medien, und du hättest sie sehen sollen, Maddy – ich war so stolz auf sie. Sie hielt eine flammende Rede und verglich die Lüge mit einem Krebsgeschwür. Wenn man nichts dagegen unternimmt, sagte sie, dann frisst sie einen schließlich auf, und genau darüber hatten wir im Geschichtsunterricht gesprochen – dass ein falsches Verständnis der Vergangenheit zwangsläufig in eine falsche Zukunft führt. Sie hat sogar an die South London Press geschrieben und sie aufgefordert, eine Richtigstellung zu drucken, und die ganze Klasse hat gejubelt, als sie rief, sie wolle ein für alle Mal aufräumen mit dieser Lüge : ›Mr. Vaughan und ich werden aufräumen mit dieser Lüge‹, rief sie immer wieder unter Jubelrufen, ›und ich weiß, dass mein Dad aus dem Himmel zu uns herunterschaut und Danke sagt.‹«
    »Das ist dir also auch wieder eingefallen«, sagte Maddy lächelnd.
    »Was?«
    »Warum du so gerne unterrichtet hast. Früher hast du oft so leidenschaftlich über deine Arbeit gesprochen. Das habe ich immer an dir geliebt …«
    Schließlich ging Maddy auf ihr Zimmer und hängte ihr feuchtes Handtuch zum Trocknen auf, und da das Pub noch ein paar Zimmer frei hatte, nahm ich das billigste.
    Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und wünschte mir eine gute Nacht, dann fiel die alte Holztür hinter ihr ins Schloss. Eine Stunde später war ich immer noch hellwach. Mich erfüllte ein so seltsames Gefühl der Zufriedenheit, dass ich nicht schlafen konnte.
    Obwohl keiner von uns ein Wort darüber verloren hatte, war etwas Bedeutendes geschehen. Wir hatten einander verziehen. Jetzt erst spürte ich, wie sehr mir das Wagnis dieses langen Tages zugesetzt hatte: der Flug, die unruhige Fahrt, vor allem aber die durchaus berechtigte Angst, dass sie stocksauer sein würde, weil ich ihr hierher gefolgt war und ihr nachstellte wie ein durchgeknallter Stalker. Es war weitaus besser gelaufen, als ich es mir jemals hätte träumen lassen. Und dann, kaum war ich eingedöst, ging plötzlich die Tür auf, und Maddy flüsterte: »Stück mal ein Rück« und kroch zu mir ins Bett.
    Gern hätte ich mich aufgesetzt und sie in den Arm genommen, doch irgendetwas sagte mir, dass es ihr vermutlich lieber war, wenn ich Platz machte und meiner Exfrau ein Stück der Bettdecke überließ. Oder doch meiner Frau? Noch war ich mir da nicht so sicher.
    »Ist es dir auch nicht zu eng?«
    »Nein, schon gut.« Sie flüsterte noch immer. »Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«
    »Du hast mich nicht geweckt, ich war noch wach. Woher wusstest du, welches mein Zimmer ist?«
    »Wusste ich ja gar nicht – erst bin ich auf Zehenspitzen in das Zimmer gegenüber geschlichen. Fast wäre ich zu dem fetten Deutschen ins Bett gestiegen, der vorhin unten an der Theke saß.«
    »Das hätte interessant werden können …«
    »Was soll’s, du hast mich in Westirland gefunden. Die richtige Tür zu finden ist ein Klacks dagegen. Allmählich habe ich das Gefühl, du kannst Gedanken lesen.«
    Sie lehnte den Kopf an meine Schulter. »Du wusstest, dass ich hierherkommen würde!«, sagte sie verblüfft. »Du wusstest es einfach!«
    Und dann lagen wir schweigend nebeneinander, ich hielt sie im Arm und spürte, wie sie sich an mich drückte. Ich hatte mich an Dinge erinnert, an die ich mich vor meiner Amnesie niemals erinnert hätte. Ich hatte mich an
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