Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß
Autoren: John O'Farrell
Vom Netzwerk:
friedlich hier: Man hörte nur die Wellen, den Wind und das Geschrei der Möwen – »Balsam für die Ohren«, wie Maddy zu sagen pflegte.
    Ich sah, wie sie Tasche und Handtuch in einer Felsspalte verstaute und sich bereit machte zum Sprung. Das Wasser war eiskalt, aber das hatte Maddy noch nie am Schwimmen gehindert. Dann tauchte sie ohne zu zögern in das schäumende Nass. Anmut und Grazie ihres Sprunges wurden allein dadurch ein klein wenig geschmälert, dass sie laut über die klirrende Kälte des Atlantiks fluchte, als sie wieder an die Oberfläche kam. Aber Maddy war eine versierte Schwimmerin und durchpflügte mit kraftvollen Kraulschlägen die Bucht. Im Sommer wurde dieser Strand von Rettungsschwimmern bewacht, doch sie wusste um Strömung und Gezeiten und blieb in Ufernähe. Vielleicht hatte sie sogar den Einheimischen bemerkt, der am anderen Ende des schmalen Sandstreifens Holz sammelte und die tollkühne Schwimmerin aus den Augenwinkeln beobachtete.
    Als die Kälte ihr schließlich bis in die Zahnfüllungen gedrungen war, hievte sie sich auf einen Felsen. Sie wusste, dass man an dieser Stelle aus dem Wasser klettern konnte – auch nach all den Jahren hatte sie den hier verbrachten Urlaub nicht vergessen: die gemeinsam geleerte Flasche Wein und das gemütliche kleine Zelt, das der Sturm aus der Verankerung gerissen hatte. Jetzt war die leichte Frühlingsbrise wie ein eisiger Wind auf ihrer Haut, und das winzige Handtuch bedeckte nicht einmal ihre bibbernden Schultern. Die Gestalt am anderen Ende des Strandes hatte ein Feuer entzündet, und weiße Rauchwolken trieben über die Dünen. Gern hätte sie sich an den Flammen gewärmt, aber sie konnte ja wohl schlecht einen wildfremden Menschen behelligen, nur weil sie in der falschen Jahreszeit ein Bad im Meer genommen hatte und in ihrem nassen Badeanzug schrecklich fror. Andererseits waren die Iren für ihre Gastlichkeit berühmt: Nie um ein freundliches Wort verlegen, suchten sie den Kontakt zu Fremden; insofern würde es der Mann wohl kaum als unhöflich empfinden, wenn sie auf einen kleinen Plausch zu ihm hinüberging.
    Sie nahm ihre Sandalen und machte sich auf den Weg. Barfuß wanderte sie an den Dünen entlang und roch den verlockenden Duft brennenden Holzes. Der Rauch war so dicht, dass sie nur schwer erkennen konnte, ob der Mann noch da war oder nicht, und erst als sie fast vor ihm stand, wünschte sie ihm freundlich einen guten Tag.
    »Tag.« Der englische Akzent kam ihr irgendwie bekannt vor. Und dann wechselte der Rauch die Richtung, und vor ihr stand ihr Exmann. Er strahlte übers ganze Gesicht und hielt ihr einen Stoffbeutel hin.
    »Ich habe dir deinen Kaschmir-Kapuzenpulli mitgebracht«, sagte ich lächelnd. »Ich dachte, dir ist bestimmt kalt.«
    Nachdem mir klar geworden war, wo Maddy steckte, hatte ich sie rasch gefunden. Die wesentlich schwierigere Reise lag ja bereits hinter mir: der Versuch, sie zu verstehen. Maddy sah mich an, als gingen ihr so viele Gedanken durch den Kopf, dass sie keinen davon auszusprechen vermochte.
    »Und damit du dich aufwärmen kannst, habe ich einfach ein Feuer gemacht. Aber ich weiß, dass du hierhergekommen bist, um ein wenig Abstand zu gewinnen, darum lasse ich dich jetzt allein. Falls du Lust hast, später noch was trinken zu gehen, ich fliege erst morgen wieder nach Hause, aber es liegt ganz bei dir«, und damit wandte ich mich zum Gehen.
    Sie war so verdattert, dass sie kein Wort herausbrachte. Ich hatte schon Angst, dass sie mich tatsächlich ziehen lassen würde.
    »Warte!«, rief sie mir schließlich nach. »Sei nicht albern. Wie bist du …? Woher wusstest du …? Ist mit Mum und Dad alles in Ordnung?«
    Ich blieb stehen und drehte mich um. »Keine Sorge, alles bestens.« Ich lachte. »Typisch Maddy. Du denkst immer nur an andere.«
    »Mum hat sich hoffentlich keine allzu großen Sorgen gemacht. Wie bist du darauf gekommen, dass ich hier bin? Wie hast du mich gefunden?«
    »Nun ja, mir ist eingefallen, dass du immer, wenn du keinen klaren Gedanken fassen konntest, die Sirenen jaulten, Jumbo-Jets über dich hinwegdonnerten und dir die Probleme über den Kopf wuchsen, gesagt hast: ›Ich wünschte, ich wäre in Barleycove.‹«
    »Daran hast du dich erinnert?«
    »Und als ich gesehen habe, dass du deinen Reisepass mitgenommen hattest, wurde mir klar, wohin du verschwunden warst … Aber dann fiel mir auf, dass du deinen Kaschmirpulli vergessen hattest, und ich dachte: Oh, den kann sie dort sicher gut
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher