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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß
Autoren: John O'Farrell
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Touristen in grob gestrickten Wollpullovern, die mit reichlich Guinness und Chips bewaffnet aus dem Pub kamen. Doch jetzt wirkte der kleine Ort wie eine Geisterstadt. Die Boote waren mit feuchten Persennings abgedeckt, die Fenster der im Winterschlaf liegenden Ferienhäuser mit schweren Rollläden verrammelt.
    »Möchtest du noch mal nach Barleycove? Ein letztes Mal im Meer baden?«
    »Nein danke, ich habe keine Lust, mir eine Lungenentzündung zu holen. Außerdem ist es schön hier – wollen wir einen Spaziergang zum Kap machen?«
    »Du hast recht, das ist ein hübsches Plätzchen. Wir hätten damals in dem Pub übernachten sollen, statt in den Dünen zu zelten.«
    »Tja … Manchmal braucht man zwanzig Jahre, um auf den richtigen Trichter zu kommen.«
    Das war zwar nur so dahingesagt, aber die Botschaft war unmissverständlich: Wir mussten klären, wie wir zueinander standen. Wir betrachteten die dümpelnden Yachten und lauschten dem Chor der Drahtseiltrossen, die gegen Aluminiummasten klatschten.
    »Ich bin nach West Cork gekommen, um mir über etwas klar zu werden«, sagte Maddy schließlich. »Und gestern, am Feuer unten in Barleycove, habe ich eine Entscheidung getroffen.«
    »Nämlich?«
    Sie nahm mich bei den Händen und sah mir in die Augen.
    »Wenn ich das nächste Mal auf die bescheuerte Idee komme, Anfang April im Atlantik zu baden, kaufe ich mir vorher einen Neoprenanzug.«
    »Klingt vernünftig … denn so gern ich dir deinen Kaschmirpulli hinterhertrage, ich kann ja nicht immer bei dir sein.«
    »Ehrlich gesagt« – sie sah wieder aufs Wasser –, »fände ich es eigentlich ganz nett, wenn du immer bei mir wärst.«
    In der Ferne lachten zwei Möwen. Nach etwa zwanzig Sekunden sagte Maddy: »Wenn du mich weiter so fest drückst, sterbe ich den Erstickungstod.«
    Wir verließen das Dorf und hielten auf die Klippen zu, und ich nahm ihre Hand, und sie ließ mich gewähren, was das Gehen beträchtlich erschwerte, denn schon bald wurde der Pfad für zwei zu schmal. Auf den Hügeln jenseits des Dorfes wehte ein scharfer Wind, und der Weg war steil und steinig. Schließlich standen wir auf den Klippen und sahen auf die Bucht hinunter. Wir setzten uns auf eine verwitterte Bank, die ein trauernder Witwer zum Gedenken an seine verstorbene Frau errichtet hatte.
    »Sieh dir die Daten an«, sagte ich. »Die beiden waren fünfundfünfzig Jahre verheiratet. Meinst du, wir halten auch so lange durch?«
    »Kommt drauf an. Du könntest dir zum Beispiel eine Geliebte zulegen, und dann müsste ich dich natürlich umbringen …«
    »Im Ernst? Wäre das wirklich so schlimm?«
    »Nein. Wenn es sich um einen einmaligen Fehltritt handeln würde und du sofort geständig wärst, könnte ich mich möglicherweise dazu durchringen, dir zu verzeihen. Aber wenn ich zufällig dahinterkäme, dass du mich betrügst, tja, dann würde ich dich langsam zu Tode quälen und das Video von deiner Hinrichtung auf YouTube posten.«
    »Seit wann weißt du, wie man etwas auf YouTube postet?«
    Wir schwelgten in Erinnerungen an unseren ersten Urlaub in dieser Gegend: wie wir uns Fahrräder gemietet und mit der Fähre nach Clear Island übergesetzt hatten; wie wir in Pubs gegessen und an verlassenen Stränden gebadet hatten; wie wir in den Hügeln oberhalb von Ballydehob einen wunderschönen Loch entdeckt und am Waldrand ein paar Tage gezeltet hatten. Begeistert ließen wir die alten Zeiten wiederaufleben. Während unserer jahrelangen Auseinandersetzungen waren derlei Anekdoten verpönt gewesen, da sie zur Kriegsanstrengung wenig beigetragen hätten. Im Zuge des anhaltenden Friedensprozesses jedoch feierten diese Sagen und Legenden fröhliche Auferstehung, und wir schrieben die Geschichte unserer Ehe so um, dass das verliebte, glücklich geschiedene Paar am Ende Hand in Hand dem Sonnenuntergang entgegenschritt.
    »Sag mal, sind wir eigentlich schon rechtskräftig geschieden?«
    »Nein, erst in ein paar Wochen. Es gibt noch einen letzten Gerichtstermin – da brauchen wir aber nicht unbedingt hinzugehen.«
    »Und wenn wir es doch tun?«, sagte ich, nur halb im Scherz.
    »Au ja! Ich könnte mein Hochzeitskleid anziehen und du deinen besten Anzug – und hinterher lassen wir uns mit Konfetti bewerfen und feiern ein großes Fest!«
    »Fantastisch!«
    »Fantastisch?«
    »Ja – du bist wieder für Albernheiten zu haben!«
    Ich beschloss, Nägel mit Köpfen zu machen, und so sank ich denn auf den windumtosten Klippen am schönsten Ort der Welt
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