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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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neun, Ron. Früher stand sie in der Mitte der Wählscheibe, aber heute gibt’s ja nur noch Tastentelefone. Warum kann eigentlich nichts so bleiben, wie es ist?«
    Ron war offenbar zu demselben Schluss gelangt wie ich: dass Maddys plötzliches Verschwinden vielleicht doch nicht ganz so mysteriös war, wie es schien.
    »Nun ja, Jean«, sagte ich und hielt einen Augenblick inne, um die richtigen Worte zu finden, »vielleicht brauchte Maddy ja einfach mal ein bisschen Abstand? Vielleicht wurde es ihr hier schlicht zu eng?«
    »Zu eng? Aber sie hat doch jede Menge Platz. Du hast ja nicht umsonst den Dachboden ausgebaut. Und den Keller trockengelegt. Wusstest du das, Ron? Warum hast du das in unserem Haus eigentlich nicht auch gemacht?«
    »Weil wir keinen Keller haben.«
    »Nein, ich meine Ruhe und Entspannung – eine Auszeit, um sich von dem Stress zu erholen, dem sie in den letzten Wochen und Monaten ausgesetzt gewesen ist.«
    Maddy war erst seit sechsunddreißig Stunden fort, und obwohl ich es durchaus verständlich fand, dass Jean es gern vorher gewusst hätte, wenn ihre Tochter von heute auf morgen zu verschwinden gedachte, hätte das erforderliche Gespräch mit ihrer Mutter vermutlich ein Gutteil dieser Zeit in Anspruch genommen. Ich versicherte ihr, Madeleine werde sich bestimmt bald melden, musste ihr jedoch zugestehen, dass Maddys Verhalten »nicht normal« sei. Für »nicht normal« hielt Jean so ziemlich alles von Frauenfußball über Nasenpiercings bis hin zu den Asiaten, die im Fernsehen »unsere Nachrichten« verlasen.
    Insgeheim war ich nach wie vor besorgt. Ihre Eltern ohne ein Wort der Erklärung im Haus zurückzulassen, sah der Maddy, an die ich mich zu erinnern glaubte, gar nicht ähnlich. Sie war stets rücksichtsvoll gewesen, stets darauf bedacht, niemandem wehzutun. Wenn eine Flugbegleiterin vor dem Start die Sicherheitshinweise herunterbetete und wie üblich niemand zuhörte, war ihr Maddys Mitleid sicher. Man stelle sich vor: vierzig Reihen erfahrener Vielflieger, die die Nase fröhlich in eine Zeitschrift stecken, und dazwischen, auf einem Platz am Gang, eine junge Mutter, die sichtlich begeistert bei der Sache ist und nickt und demonstrativ um sich blickt, wenn die Stewardess die Notausgänge anzeigt. Ihr sonniges Gemüt stand im krassen Gegensatz zur chronischen Schlechtwetterlaune ihres Gatten, der es als persönliche Beleidigung empfand, wenn sein Vordermann den Sitz nach hinten stellte.
    Diese Erinnerungen brachten mich auf einen Gedanken. Ich wusste, wo sie unsere Pässe aufbewahrte. Wenn sie sich tatsächlich ein paar Tage ins Ausland hatte absetzen wollen, wäre das ein sicheres Indiz. Ich schlich nach oben ins Schlafzimmer, trat vor die viktorianische Kommode unter dem Fenster und öffnete die kleine Schublade mit den wichtigen Unterlagen. Ich fand unseren Trauschein (den wir erstaunlicherweise nicht hatten zurückgeben müssen). Ich fand die Schwimmabzeichen aus ihrer Jugend und den Impfpass des Hundes. Ich fand den Abriss eines alten Parkscheins, an dem sie offenbar sehr hing. Aber ich hatte richtig vermutet. Maddy war ausgeflogen; die Frau, die ihre Bedürfnisse stets hintangestellt hatte, war ihrem Kokon der Zwänge und Verpflichtungen entschlüpft und hatte das Weite gesucht.
    Ich blickte mich in unserem alten Schlafzimmer um und stellte mir vor, wie sie hastig ihre Reisetasche gepackt hatte, während ihre Eltern mit dem Hund unterwegs gewesen waren. Ich wünschte, ich hätte ihre Flucht als einen Akt der Auflehnung, als spontane Unabhängigkeitserklärung betrachten können. Doch sie hatte keine Nachricht hinterlassen, keine SMS geschickt; das deutete eigentlich eher auf eine Krise hin, auf eine Frau, die mit ihrem Latein am Ende war. Ich hockte mich auf die Bettkante und dachte darüber nach, wohin sie entfleucht sein konnte.
    Als ich versuchte, mich in Maddy hineinzuversetzen, gelangte ich nach reiflicher Überlegung zu folgendem Ergebnis.
    Für April war es ungewöhnlich warm, bestimmt war sie ans Meer gefahren. Ich stellte mir vor, wie sie leichtfüßig von einem Stein zum anderen hüpfte, auf der Suche nach einer Stelle, wo sie ins Wasser springen konnte. Sie blieb einen Augenblick stehen, atmete die salzige Luft tief ein und ließ den Blick über den weiten, menschenleeren Strand schweifen, der ihr auf der Welt der liebste war. Eine Handvoll Schafe bevölkerte die grau-grünen Hügel rings um die Bucht, doch kein Auto kam die Küstenstraße entlang. Es war so ruhig und

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