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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß
Autoren: John O'Farrell
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gebrauchen.«
    Sie hatte ihn übergestreift, und ihre seegegerbten Wangen glühten in der wohligen Wärme des Feuers.
    »Ach übrigens, ich habe auch Würstchen und Brot mitgebracht, nur falls du Lust auf etwas zu essen hast.«
    »Sind die Würstchen auch vegetarisch? Du hast doch hoffentlich nicht vergessen, dass ich Vegetarierin bin?«
    Fast hätte ich ihr geglaubt.
    Ich achtete darauf, die Würstchen richtig durchzugaren. Heute war ein besonderer Tag, und wenn Maddy sich auf Grund meiner mangelhaften Kochkünste in den Sand hätte erbrechen müssen, wäre dies der Atmosphäre nicht eben zuträglich gewesen. Doch nach ihrem Bad im Meer hatte Madeleine solchen Hunger, dass meine über offenem Feuer gegrillten irischen Würstchen so ziemlich das Leckerste waren, was sie je gegessen hatte, und als ich eine kleine Flasche Wein und einen Plastikbecher hervorholte, musste sie sich sichtlich beherrschen, um mir nicht um den Hals zu fallen. Wir saßen in den Dünen, betrachteten den verwaschenen Horizont und plauderten und lachten, während die Flut zurückwich und unsere Schatten länger wurden. Ich fühlte mich eins mit der Welt. Es störte mich noch nicht einmal, dass Maddy sich an meinem Feuer zu schaffen machte. Nicht besonders jedenfalls.
    Madeleine erklärte, sie habe spontan beschlossen, sich ins Ausland abzusetzen, ohne ihrer Mutter etwas davon zu sagen, weil ihr ansonsten keine andere Wahl geblieben wäre, als Jean mit einer Le-Creuset-Kasserolle zu erschlagen. »Ich glaube, Mum hat gespürt, dass ich leicht deprimiert war, weshalb sie mich dadurch aufmuntern zu müssen glaubte, dass sie mir haarklein auseinandersetzte, weshalb sie es im Leben so viel schwerer gehabt hat als ihre vom Glück verwöhnte Tochter.«
    »Und? Warst du wenigstens dankbar, dass du nicht mit deinem Vater verheiratet sein musstest?«
    »Gestern hat sie mir eröffnet, mein Dad hätte immer nur an sich gedacht. Sexuell gesehen. «
    »Oh, das möchte man als Tochter ja unbedingt wissen!«
    »Ja, und auch die anderen Leute in der Schlange an der Supermarktkasse fanden es wahnsinnig interessant. Also dachte ich, ich verdrücke mich, bevor sie mir in allen Einzelheiten schildert, welche Stellungen sie als besonders unbefriedigend empfand.«
    Maddy hatte einen günstigen Flug nach Cork entdeckt (sie war zufällig auf die Website einer Billigfluglinie geraten) und festgestellt, dass sie ihn noch erwischen konnte, wenn sie sich beeilte. Ihre Eltern wollte sie später anrufen. »Aber dann war mein Handyakku leer, und die Telefonzelle am Flughafen war kaputt, und ehrlich gesagt, fand ich es eigentlich ganz reizvoll, einmal nur an mich zu denken.«
    »Keine Sorge – wir sagen einfach, du hättest mich gebeten, es ihnen auszurichten. Aber ich habe ja bekanntlich ein Gedächtnis wie ein Sieb.«
    »He, gute Idee. Und genau so war’s ja auch. Oder hast du das etwa vergessen?«
    Wir unterhielten uns eine Weile über meine Amnesie und die Frage, woran ich mich entsinnen konnte und woran nicht. Die unangenehmsten Erinnerungen klammerten wir aus, aber sie wusste genau, was ich meinte, als ich sagte, ich hätte gerade erst begonnen, das alles zu verarbeiten, das Gute wie das Schlechte. Wir sahen zu, wie ein Tanker in der Ferne hinter dem Kap verschwand, und fütterten eine leicht aggressive Möwe mit Brotkrümeln. Als sie mir Wein einschenken wollte, bemerkte sie, dass ich nichts trank.
    »Warum? Musst du etwa noch fahren?«, witzelte sie und bereute die kleine Gemeinheit sofort.
    »Ähm, ehrlich gesagt, ja. Ich habe mir einen schnuckligen kleinen Wagen gemietet. Er steht oben auf dem Hügel.«
    »Du hast den Führerschein gemacht?«
    »Ja. Und seitdem nicht eine einzige Gartenmauer demoliert. Wenn du möchtest, chauffiere ich dich nachher in meinem noblen Nissan Micra nach Crookhaven. Der Seitenspiegel ist abgebrochen, aber dafür kann ich nichts; bei Skibbereen ist mir ein Baum zu nahe gekommen.«
    Sprachlos starrte sie mich an; sie schien nicht recht zu wissen, was sie von diesem neuen Menschen halten sollte, den sie seit über zwanzig Jahren kannte.
    Als das Feuer heruntergebrannt war und die Temperatur ins Bodenlose zu fallen drohte, fuhren wir ins Dorf zurück, und Maddy versuchte, sich möglichst unauffällig am Beifahrersitz festzuklammern, während wir über die Küstenstraße kurvten. In dem Pub, in dem Madeleine sich eingemietet hatte, tranken wir noch ein Glas und bekamen jeder eine SMS unserer skiverrückten Kinder, deren Dechiffrierung uns
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