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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß
Autoren: John O'Farrell
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hatten. Genau genommen dankte sie so vielen Leuten, dass einer von uns das Zeitliche zu segnen drohte, bevor ich Gelegenheit bekam, mein Gewissen zu erleichtern.
    »Gary!«, zischte ich und winkte ihn zu mir in die Küche. »Gary!«
    »Alles klar, Alter – die Ringe sind in meiner Tasche. Ich hab extra noch mal nachgesehen …«
    »Darum geht’s nicht – mir ist gerade etwas eingefallen.«
    »Wie man Fußball spielt?«
    »Nein, im Ernst. Ich …« Ich senkte die Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern. »Ich hatte eine Affäre.«
    Gary grinste mich an. »Wer’s glaubt, wird selig! Und Lady Di hast du wahrscheinlich auch auf dem Gewissen … Mich kannst du nicht verarschen, Alter – das ist mein Spezialgebiet.«
    »Nein, es ist die Wahrheit. Ehrenwort – vor ungefähr zwei Jahren. Es dauerte zwar nur vier Wochen, aber ich war Maddy untreu.«
    Nun trat er von der Terrasse in die Küche, wo wir uns halbwegs ungestört unterhalten konnten.
    »Verdammte Scheiße, Vaughan. Und warum erzählst du mir das ausgerechnet jetzt?«
    »Weil es mir eben erst eingefallen ist. Ich muss es Madeleine sagen! Ich muss ihr unbedingt die Wahrheit sagen, bevor wir unser Gelöbnis ablegen!«
    Wir sahen zu Maddy hinaus, die noch immer auf der provisorischen Bühne stand und dem Nachbarn dankte, der einen der Tapeziertische für das Büfett gestiftet hatte.
    »Bist du wahnsinnig? Das kannst du ihr unmöglich sagen. Weder jetzt noch sonst wann. Wenn du das tust, hast du bei ihr endgültig verschissen, du Idiot!«
    »Aber ich muss es ihr sagen, bevor wie uns ewige Treue schwören. Alles andere wäre Betrug!«
    »Na und? Gegen einen kleinen Betrug ist doch nichts einzuwenden. Du darfst deiner Frau gegenüber niemals offen und ehrlich sein. Das ist das Dümmste, was du machen kannst.«
    Dies war ein entscheidender Moment in meinem Leben, und aus irgendeinem Grund wurmte es mich, dass die einzige Person, die ich um Rat fragen konnte, nicht nur merklich angetrunken, sondern noch dazu als Papst verkleidet war.
    »Aber nachher ist es zu spät. Ich muss jetzt mit dieser Lüge aufräumen. Sie hat gesagt, wenn ich sofort geständig wäre, würde sie mir verzeihen.«
    »Schlaf wenigstens drüber; lass es dir noch einmal durch den Kopf gehen. Mach ihr nicht den schönen Tag kaputt. Denn irgendwie ist das hier ja doch so was Ähnliches wie eine Hochzeit«, sagte Gary, als sei ihm diese bahnbrechende Erkenntnis gerade erst gekommen.
    Der Applaus für Maddy bereitete unserem heimlichen Wortwechsel ein jähes Ende, und der Moment für die scherzhafte Trauung und den symbolischen (und gänzlich unironischen) Ringtausch war gekommen. Ich ging wieder nach draußen, dicht gefolgt von Gary, der nun nicht mehr ganz so entspannt und ungezwungen wirkte wie noch vor ein paar Minuten und den Leuten stockend und stammelnd das bevorstehende Procedere erklärte.
    Maddy sah zu mir herüber und zog verschämt grinsend die Augenbrauen hoch. Das ist vielleicht das letzte Lächeln, das sie mir jemals schenken wird, dachte ich. Was war besser: eine glückliche Ehe, die auf einer Lüge gründete, oder das Risiko, meine Frau zu verlieren, weil ich ihr reinen Wein eingeschenkt hatte? Aber war Ersteres überhaupt möglich? Wäre eine solche Ehe nicht nur scheinbar harmonisch, in Wahrheit jedoch alles andere als glücklich, auch wenn Maddy nie so recht dahinterkommen würde, was fehlte? Und warum gab es an Tankstellen eigentlich keine Gratisweingläser mehr? Um Säufer nicht zum Autofahren zu animieren oder umgekehrt?
    »Maddy!«, flüsterte ich hinter Garys Rücken.
    »Bist du bereit?«, fragte sie nichts Böses ahnend zurück.
    »Maddy – ich muss dir vorher noch etwas sagen. Komm mal kurz mit rein.«
    Meine Stimme klang so ernst, dass Maddy unwillkürlich kichern musste.
    »Lass den Quatsch – sonst kriege ich einen Lachanfall.«
    »Ich meine es ernst. Es geht um etwas, das kurz vor unserer Trennung passiert ist. Ich habe mich gerade erst daran erinnert, aber du musst es sofort erfahren.«
    Mit einer leichten Kopfbewegung bedeutete ich ihr, die offene Bühne zu verlassen, und sie folgte mir mit verwirrter Miene in die Küche.
    »Was gibt es denn so Wichtiges?«, flüsterte sie.
    »Weißt du noch, als wir praktisch nicht mehr miteinander gesprochen haben und ich mit der Schule nach Paris gefahren bin? Es ging erst in zweiter Linie um die Schule. Ich bin vor allem deshalb mitgefahren, weil es damals eine andere Frau gab.«
    Endlich begriff Maddy, dass ich keine Witze
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