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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß
Autoren: John O'Farrell
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vertraute, gute Freundin und nicht alle fünf Minuten überschwengliche Zuneigungsbekundungen in Form von Blumen, Pralinen oder Liebessonetten zu erwarten.« Und: »Ich gelobe, deine Fehler und Launen ebenso zu tolerieren wie du die meinen, und sie nicht als heimliche Rechtfertigung dafür zu benutzen, meine Exfreundinnen zu googeln.«
    Unter lautem Jubel traten die Stars des Abends aus der Küche auf die Terrasse. Gary, der sich aus irgendeinem Grund als Bischof – oder doch als Papst? – verkleidet hatte, bat um Ruhe und rief den Gästen ins Gedächtnis, dass dies ein besonderer Anlass sei. »Denn am heutigen Vormittag haben Vaughan und Maddy jenen großen Schritt gewagt, mit dem viele von uns schon einmal geliebäugelt haben, den zu tun jedoch nur wenige den Mut aufbringen: Sie haben sich scheiden lassen.« Wieder brachen die schon etwas angetrunkenen Gäste in lauten Jubel aus. Ich ließ den Blick über das Meer wohlwollender Gesichter schweifen, und während ich leicht wankend in der prallen Sonne stand, spürte ich, wie mir der Schweiß aus allen Poren rann und meinen steifen Leihanzug durchtränkte.
    »Maddys und Vaughans besonderer Dank gilt denjenigen unter euch, die schon bei ihrer ersten Hochzeit vor fünfzehn Jahren zu Gast waren – und ihnen wunderschöne Geschenke mitgebracht haben, die sie euch nun, aus Gründen des Anstands und der Moral, zurückgeben möchten …«
    Hier und da rief jemand: »Schämt euch!«, und eine einsame Stimme krakeelte: »Haben sie das Zeug etwa auf eBay zurückgekauft?«
    »… namentlich«, fuhr Gary fort, »die noch ungeöffnete Dose Lachsforellenkaviar, deren Haltbarkeitsdatum irgendwann im letzten Jahrtausend abgelaufen ist. Mark und Erena, schweren Herzens haben sich die beiden entschlossen, euch das 22-teilige Porzellanservice zurückzugeben, das seit einem besonders heftigen, äh, Zerwürfnis 92 Teile hat.« Die Gäste quittierten diesen Scherz mit leicht nervösem Gelächter; sie waren sich nicht ganz sicher, ob es sich ziemte, bei einer Scheidungsparty auf verjährte eheliche Auseinandersetzungen anzuspielen.
    »Pete und Kate – euch geben sie dieses sechsteilige Kristallglas-Set zurück, das im Lauf der Jahre auf elf Kristallgläser angewachsen ist, da Maddy und Vaughan sich an derselben Tankstelle mit Benzin versorgen wie ihr.« Wer alt genug war, um sich daran zu erinnern, dass Tankstellen ihre Stammkunden seinerzeit mit Gratisgläsern zu beglücken pflegten, wusste diesen Witz entsprechend zu goutieren, aber auch Dillie lachte sich fast kaputt, obwohl sie keinen Schimmer hatte, wovon Gary redete.
    Gary kostete die Gelegenheit, sich vor geneigtem Publikum zu produzieren, gehörig aus. Doch nach einer Weile hörte ich zwar noch seine Stimme, registrierte aber nicht mehr, was er sagte. Und während ich an den richtigen Stellen kicherte und grinste, nahm ich zugleich hundert andere Dinge wahr: das distanzierte Interesse, mit dem Jamie diese seltsamen Erwachsenen beobachtete, den Knoten in einer Spannleine des Partyzeltes, den Kondensstreifen eines Düsenflugzeugs, dessen Ziel Tausende von Meilen entfernt lag. Ich sah Freunde, die ich ganz neu kennengelernt hatte, Lehrerkollegen aus der Schule und den Nachbarn mit dem Halstuch, dessen Namen ich wahrscheinlich nie herausbekommen würde. Und ich sah Madeleine, die den Rosenstrauß im Arm hielt und auf Garys Scherze und Anzüglichkeiten entweder mit beifälligem Nicken oder gespielter Entrüstung reagierte. Und dann schloss ich die Augen und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen, das grelle Licht brannte sich durch meine Lider, und die wirbelnden Sonnenflecken und Spiralen entführten mich an einen anderen Ort. Da plötzlich passierte es – ein gewichtiges Stück meiner Vergangenheit sprengte die Party; eine ganze Reihe von Erinnerungen drängte sich ungebeten in meinen Kopf, und als ich in die stechende Sonne blinzelte, fühlte ich mich mit einem Mal benommen, wie betäubt, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen.
    Ich hatte eine Affäre gehabt.
    Als Maddy und ich noch verheiratet gewesen waren, hatte ich sie betrogen und mich mit Überstunden und einem Tagungswochenende in Paris herausgeredet. Auf einmal war alles wieder da.
    Sie hieß Yolande, eine kleine, dunkelhaarige Französin Mitte zwanzig, die an unserer Schule als Austauschlehrerin gearbeitet hatte. Als sie nach Frankreich zurückgekehrt war, hatten wir beschlossen, die Affäre zu beenden. Doch davor hatte ich mich etwa einen Monat
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