Der Mann, der sich in Luft auflöste
einer dicken Schicht alter Tageszeitungen. Darauf lagen eine verschlissene Steppdecke und ein gestreiftes Kissen.
Das Bild stellte eine nackte blonde Frau an einer Marmorbalustrade dar, es hing rechts vom Ofen, sodass derjenige, der im Bett lag, es vor dem Einschlafen und gleich beim Aufwachen sehen konnte. Irgendjemand hatte mit einem Bleistift die Brustwarzen und das Geschlecht der Frau vergrößert.«
Der Mann, der sich in Luft auflöste, erste Seite, zweiter Absatz. Schon dort.
1966 oder 2008, Gegenwärtigkeit hat kein Alter.
Vielleicht ist es so, dass wir nicht genauso oft solche Briefe verschicken - handgeschriebene, ausgetragene Post -, wie Beck sie bei der Ermittlung zur Kenntnis nimmt, wir können vielleicht auch nicht mehr so wie er bei einer Vernehmung die Spule eines Tonbandgeräts rotieren sehen, und wir sind vermutlich auch nicht mehr der Auffassung, dass Jahreseinkünfte von 40 000 Kronen, die einer der Verdächtigen kassiert, eine ansehnliche Summe sind.
Wären Sjöwall-Wahlöö dabei stehengeblieben - mit geschickt eingesetzten Markierungen, mit Gefühl und Geruch, Dingen also, aus denen kraftvolle Romane gebaut sind -, hätten wir diese Zeilen nicht geschrieben, und du hättest es nicht gelesen, zwei Generationen später.
Es war so viel mehr, wurde so viel größer.
Kriminalrätsel.
Gesellschaftskritik.
Zeitbetrachter.
Eine Ganzheit, die Schule gemacht hat, ein klassisches Werk, auf zehn Bände verteilt und innerhalb von zehn Jahren erschienen: Martin Beck und seine Mitarbeiter haben alle schwedischen Autoren und Autorinnen beeinflusst, die Romane über Verbrechen schreiben. Henning Mankells Wallander oder Hakan Nessers Van Veeteren oder Anne Holts Wilhelmsen sind alle ein Teil dessen, was damals geboren wurde. Unser eigener Kriminalkommissar Ewert Grens ist vielleicht sogar noch einen Schritt weiter gegangen, er lebt und arbeitet ja in derselben Stadt, jenem Stockholm, das Beck einst verlassen hat, in einem Polizeipräsidium im selben Viertel, wahrscheinlich sitzt er sogar im selben Büro, in unserer Welt ist das so, vierzig Jahre später, gealterte Wände, eine andere Zeit.
Wir haben sogar die Arbeitsweise geklaut. Roslund-Hellström sind zwei Autoren, die zusammenarbeiten.
Bei Maj Sjöwall und Per Wahlöö haben zwei Seelen, zwei Gehirne, zwei Autoren gearbeitet. Zu zweit arbeiten - das ist wie eine kleine Redaktion.
Gleicher Prozess, gleicher Gewinn aus der Zusammenarbeit, gleiche Kraft, die gebraucht wird, um Kompromisse zu schließen. Deine Idee muss so gut sein, dass sie nicht nur dich selbst, sondern auch einen anderen Menschen überzeugt. Sie muss auf dem ganzen Weg von irgendwo aus der Bauchgegend bis in die Tasten der Maschine begründet und seziert werden können. Du kannst die Grenzen testen - »Beschreiben wir das Verbrechen zu deutlich, zeigen wir zu viel?« Du begegnest deinem ersten Leser schon, bevor du dem Verlag etwas lieferst - »Versteht man das, nutzen wir diesen Charakter ausreichend?« Du bist nie allein, wenn du eine Geschichte baust - »Das trägt nicht, das sollte nochmal bearbeitet werden.«
Es kann ein grauenhafter Prozess sein.
Aber der Text wird genau so, und nur so, weil ihn genau diese zwei Menschen zusammen steuern.
In anderer Weise geschrieben, hätte dieses Buch, hätten alle Sjöwall-Wahlöö-Romane und damit das gesamte Erbe, von dem wir Krimiautoren ein Teil sind, nicht so ausgesehen, sie wären nicht so gut gewesen, hätten vielleicht gar keine Funktion gehabt.
Gleich.
Die ersten Seiten des zweiten Teils der Serie. Wir beneiden dich.
Der Mann, der sich in Luft auflöste
1
Das Zimmer war klein und schäbig. Am Fenster hingen keine Gardinen, und draußen sah man einen grauen Brandgiebel mit rostigen Armierungseisen und einer verblassten Margarinereklame. In der linken Fensterhälfte fehlte die mittlere Scheibe, sie war durch ein ungleichmäßig zugeschnittenes Stück Karton ersetzt worden. Die geblümte Tapete war so von Ruß und Feuchtigkeitsflecken verfärbt, dass ihr Muster kaum noch zu erkennen war. Da und dort hatte sie sich vom bröckelnden Wandputz gelöst, und an einigen Stellen hatte jemand versucht, sie mit Klebestreifen und Packpapier auszubessern. In dem Zimmer befanden sich ein Ofen, sechs Möbelstücke und ein Bild. Vor dem Ofen standen ein Pappkarton mit Asche und ein verbeulter Kaffeekessel aus Aluminium.
Das Bett zeigte mit dem Fußende zum Ofen, und die Matratze bestand aus einer dicken Schicht alter Tageszeitungen.
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