Der Mann, der starb wie ein Lachs
dachte, er hätte vergessen, die Platte auszuschalten. Dass er vielleicht krank geworden ist.«
»Hast du noch etwas Anderes im Haus gemacht? Fenster oder Türen geschlossen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Hast du etwas sauber gemacht? Möbel verrückt oder sonst etwas?«
»Nein, alles war in bester Ordnung.«
»Ist dir etwas Ungewöhnliches aufgefallen? Waren beispielsweise irgendwelche Lampen eingeschaltet?«
»Nein … aber es hatte auf den Boden getropft.«
Er ließ sie erzählen, wie sie die Leiche gefunden hatte, ohne sie zu unterbrechen. Und mitten im Schock sah er außerdem Spuren von Anspannung. Sie war als Erste am Tatort gewesen. Der Gedanke hatte inzwischen Wurzeln in ihr geschlagen. Rauha Jauhojärvi, 60 Jahre alt, angestellt als Haushaltshilfe bei der Gemeinde von Pajala. Für lange Zeit würde sie die selbstverständliche Hauptperson an jedem Kaffeetisch sein. Vielleicht auch in die Zeitung kommen. Fifteen minutes of fame.
«Kannst du beschreiben, wie Martin Udde als Mensch war? Kanntest du ihn schon von früher?«
»Nein, kennen ist wohl zu viel gesagt. Ich wusste eigentlich nur, wer er war. Ein ungewöhnlich munterer 89jähriger, der es immer noch schaffte, alleine zu Hause zu wohnen. Wir haben bei ihm zweimal die Woche sauber gemacht und für ihn eingekauft. Mehr Hilfe brauchte er nicht, Essen kochen und sich waschen schaffte er allein.«
»Hat er sein Essen selbst gekocht? Ist das nicht ungewöhnlich für Männer seiner Generation?«
»Martin war ja Junggeselle. Er hat es sicher im Laufe der Jahre gelernt.«
»Und wie war er denn deiner Meinung nach? Als Person?«
»Ja, er war irgendwie … gemütlich. Oder wie man es nennen soll. Wollte sich gern unterhalten und hat immer freundlich geredet.«
»Er war also nett?«
»Ja, der feinste Mensch, den man sich denken kann. Und das Saubermachen war einfach.«
»Wieso?«
»Er hielt Ordnung. Alles war an seinem Platz. Weißt du, bei einigen anderen, da sieht es manchmal aus wie der reinste Schweinestall, wenn man kommt.«
»Ich verstehe«, nickte Sonny. »Hatte er Kontakt mit Leuten? Hatte er Freunde?«
»Nein, er war wohl ziemlich einsam. Vielleicht wollte er deshalb so viel mit einem reden. Er hatte eine Schwester in Südschweden, aber ich weiß nicht, ob sie noch Kontakt miteinander hatten.«
»Hast du die Adresse der Schwester?«
»Nein, leider nicht.«
»Hatte Martin Udde vielleicht irgendwelche Feinde?«
»Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Überhaupt keine Feinde?«
»Nicht Martin, das kann ich einfach nicht glauben. Das muss ein Kranker gewesen sein, der das getan hat. Ein Wahnsinniger.«
Eino Svedberg umklammerte den Hörer und fühlte sich unwohl. Erst jetzt, mehr als einen Tag, nachdem der Mord entdeckt worden war, hatte er die nächste Angehörige des Opfers, Alice Herdepalm, erreicht. Sie sprach mit einer wohl artikulierten Altfrauenstimme, ihr Tornedal-Dialekt war schon seit langem gegen eine Art Filmschwedisch ausgetauscht worden. Wie Sickan Carlsson in einer Matinee aus den Fünfzigern.
»Sind Sie vielleicht die Schwester von Martin Udde?«
»Martin in Pajala? Ja, er ist mein Bruder. Ist etwas passiert?«
»Ich habe leider traurige Nachrichten für Sie.«
Eino berichtete so schonend wie möglich. Sie zeigte keine Gefühlsreaktion, klang eher wie gelähmt. Als habe sie nicht richtig verstanden.
»Wann haben Sie Martin das letzte Mal gesehen?«, versuchte er es.
»Ach, das muss vor zehn Jahren gewesen sein. Und Sie sagten, es gehe ihm schlecht?«
»Er ist seinen Verletzungen erlegen«, wiederholte Eino geduldig. »Er ist wie gesagt verstorben. Es tut mir leid.«
»Aber wer …?«
»Wissen Sie, ob Ihr Bruder vielleicht irgendwelche Feinde hatte?«
»Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Nicht Martin.«
»Aber Sie hatten doch kaum Kontakt.«
»Man wird müde«, sagte sie langsam. »Man hat keine Lust mehr zu reisen, wissen Sie. Ich werde im November achtzig.«
Anschließend versuchte Eino ihren Sohn, Jan Evert Herdepalm, zu erreichen, sowohl unter seiner Privatnummer als auch übers Handy. Eine automatische Anrufbeantworterstimme bat ihn, eine Nachricht zu hinterlassen. Eino legte auf. Schaute durch die Fenster der Polizeiwache auf die grünenden Ebereschen, die kein Blatt rührten, und den schwindelnd blauen Julihimmel darüber. An so einem Tag sollte man am Fluss sein, dachte er. Lachse fangen.
Das Klinkenputzen ging den ganzen Nachmittag weiter, mit unterschiedlichem Ergebnis. Ein
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