Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry
Mörder zum Liebsten erwählt, dann ist diese Schande nicht mehr abzuwaschen. Sieh dir doch die Gäste an, das Personal, den Geschäftsführer! Sie alle wissen es. Sie alle wissen, daß du mit einem schurkischen Mörder ein Verhältnis hattest.“
„Nein, das wissen sie nicht“, würgte Evelyn gepeinigt hervor.
„Ich wußte es ja selbst nicht. Ich war bis zuletzt von seiner Unschuld überzeugt. Ich kann auch jetzt noch nicht glauben, daß er mich derart belogen haben sollte.“
„So?“ höhnte Oliver Bloom giftig. „Das kannst du nicht glauben? Dann will ich dir mal etwas sagen. Wer andere betrügt, der wird wieder betrogen. Jeden Abend hast du dich mit Lügen von zu Hause fortgestohlen. Jeden Morgen, wenn du nach einer verliebten Nacht nach Hause kamst, hast du mich mit Lug und Trug getäuscht. Du hast nur geerntet, was du gesät hast. Worüber willst du dich also beklagen?“
„Ich beklage mich ja nicht“, sagte Evelyn müde. „Ich weiß selbst, wie weit ich mich verirrt habe. Ich habe dir alles gebeichtet. Ich hoffte, du würdest mir großmütig verzeihen. Aber alles, was ich mit meinem Geständnis erreichte, war die beschämende Tatsache, daß du ihn verraten hast.“
„Verraten?“ fuhr Oliver Bloom auf. „Verraten nennst du das? Ich tat nur meine bürgerliche Pflicht. Ich meldete der Polizei meinen Verdacht. Das war alles. Ich würde es wieder tun. Er hat den Tod am Galgen tausendfach verdient.“ Evelyn warf einen gehetzten Blick durch den halbleeren Raum.
„Wollen wir nicht gehen?“ fragte sie unruhig. „Ich fühle mich so unglücklich hier. Wenn du willst, kannst du mich zu Hause weiter quälen. Aber nicht hier vor diesen Leuten. Sie brauchen doch nicht zu wissen, was du mit mir . . .“
„Ich mit dir?“ fragte Oliver Bloom scharf. „Ich habe nichts mehr mit dir zu tun. Es war unser letzter gemeinsamer Abend. Von morgen an werden sich unsere Wege trennen, Es wird 'das beste sein für uns beide.“
Evelyn nickte stumm, Sie ahnte seit langem, daß es keinen 'anderen Ausweg mehr gab. Sie hatte sich auch längst an diesen Gedanken gewöhnt. Das Alleinsein erschien ihr immer noch, besser als diese Hölle zu zweien.
„Was hat er dir denn vorgelogen?“ fragte Oliver Biloom plötzlich. „Gab er sich für einen Professor aus? Oder für einen 'Minister? Irgend etwas an ihm muß dich doch geblendet haben? Sprich endlich? War es sein Beruf? Wenn man nur einen kleinen Angestellten als Mann hat, dann tanzt man wie eine blinde Motte um das Licht einer beruflichen Größe. Ist es so?“
„Wir wollen nicht mehr davon reden“, murmelte Evelyn mit geschlossenen Augen. „Es hat keinen Zweck mehr. Wenn das heute schon ein Abschied sein soll, so soll er nicht mit einer häßlichen Szene enden.“
Oliver Bloom hörte überhaupt nicht auf sie. Sein Haß und seine Eifersucht waren beinahe kindisch. „Wohin bist du denn immer mit ihm gegangen, wenn ihr dieses Lokal verlassen habt?“ fragte er heiser. „In ein Hotel? Oder in ein verschwiegenes Boardinghouse? Oder in seine Wohnung?“
Evelyn erhob sich. Sie blickte sich hilfesuchend um. Ein Kellner kam herbei und half ihr in den Mantel. Da blieb Oliver Bloom schließlich nichts anderes übrig, als seine Rechnung zu bezahlen und ebenfalls aufzustehen. Frostig erwiderte er den Abschiedsgruß des Obers. Steif und hölzern schritt er neben seiner Gattin in die Nacht hinaus. Am Ivy Square bestiegen sie den Wagen. Die Heimfahrt verlief völlig schweigsam. Evelyn hatte sich tief in ihren Mantel vergraben. Es war eigentlich nur ihre bleiche Stirn zu sehen.
„Ich gehe morgen früh weg“, sagte sie leise, als sie vor dem großen Wohnblock hielten. „Du wirst nie wieder etwas von mir hören. Ich bitte dich nur, mich in Frieden ziehen zu lassen. Kannst du mir das versprechen?“
„Ich werde dich auf keinen Fall zurückhalten“, zischelte Oliver Bloom gehässig. „Komm jetzt! Die Leute im Haus brauchen nichts davon zu merken. Ich werde ihnen morgen erzählen, daß du verreist bist. Später werde ich mir eine andere Wohnung suchen.“
Sie gingen ins Haus und stiegen die Treppe zu ihrer Wohnung empor. Während Oliver noch sorgfältig die Tür absperrte, huschte Evelyn rasch in das kleine Zimmer, das sie seit jeher für Gäste reserviert hatte. Sie riegelte ab und begann, sich mit zitternden Händen auszukleiden.
Eine beklemmende Unruhe war in ihr. Ihre Bewegungen waren hastig und nervös, als hätte sie Fieber im Blut.
Als sie völlig ausgekleidet
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