Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
wartet sie schon draußen. Wir fahren nach Vermont!«
Er sauste zur Tür hinaus. Bernstein tat der Magen nicht mehr weh. Langsam trat er ans Fenster seines Büros und schaute auf die Straße hinunter. Betsy, die Arme voller Tüten, kam gerade den Gehweg entlang. Bernstein sah zu, wie Tom ihr entgegenlief. Er sah, wie sie sich ernst zueinander hinbeugten, während sie ihm die Sachen auf die Arme legte. Dann stand Tom wieder aufrecht und sagte offenbar etwas zu ihr, denn plötzlich lächelte sie strahlend. Auch Bernstein lächelte.
Nachwort von Jonathan Franzen
Ein klassischer Schauplatz der Literatur, eine kleine Welt, so beruhigend wie das kaiserliche St. Petersburg oder das viktorianische London, ist das vorstädtische Connecticut der fünfziger Jahre. Schließt man die Augen, sieht man Herbstlaub über stille Straßen wehen, sieht man Pendler mit Filzhut, die über die Bahnsteige der New-Haven-Linie strömen, hört man die ersten abendlichen Martinigläser klirren, und dann, nach Mitternacht, hört man die hässlichen Kräche und riecht den verzweifelten oder zweiflerischen Sex.
Die Annehmlichkeiten wie auch die Frustrationen dieser kleinen Welt finden sich in Der Mann im grauen Flanell . Der Roman, Sloan Wilsons erster, erschien 1955. Er verkaufte sich unglaublich gut und wurde bald verfilmt, mit Gregory Peck in der Hauptrolle, doch in den Jahrzehnten seither war er nicht mehr lieferbar. Heute erinnert man sich an ihn vor allem wegen seines Titels, der zusammen mit David Riesmans Die einsame Masse und William H. Whytes Herr und Opfer der Organisation zu einem Schlagwort für den Konformismus der fünfziger Jahre wurde.
Vielleicht verurteilen Sie diesen Konformismus ja, vielleicht haben Sie eine heimliche Sehnsucht danach. Wie auch immer, Der Mann im grauen Flanell liefert Ihnen die pure Fifties-Dosis. Die Hauptfiguren, Tom und Betsy Rath, sind ein attraktives WASP -Paar, das sich in traditioneller Arbeitsteilung eingerichtet hat; Betsy bleibt zu Hause bei den drei Kindern, Tom pendelt zu einem schrecklich faden Job nach Manhattan. Die Raths fügen sich ein, aber nicht gern. Betsy schimpft auf die Ödnis ihrer Straße, sie träumt davon, ihren streberhaften Nachbarn (die ebenfalls unzufrieden sind) zu entfliehen, sie ist alles andere als eine Supermutti. Als eine ihrer Töchter eine Wand mit einem Tintenfässchen verunstaltet, haut Betsy ihr erst eine runter und legt sich dann mit ihr ins Bett; am Abend findet Tom sie »eng umschlungen«, beider Gesichter mit Tinte verschmiert.
Wie Betsy wird auch Tom durch seine Schwächen sympathisch. »Der Mann im grauen Flanell« ist für ihn ein Objekt von Furcht und Verachtung, und doch sucht er, da sein Leben als Brotverdiener in vorstädtischer Häuslichkeit sich so radikal von seinem Leben als Fallschirmspringer im Zweiten Weltkrieg unterscheidet, bewusst Zuflucht im grauen Flanell. Als er sich um eine lukrative neue PR -Stelle bei der United Broadcasting Corporation bewirbt, erfährt er, dass der Vorstandsvorsitzende der Firma, Hopkins, ein nationales Komitee für psychische Gesundheit plant. Ob Tom sich für psychische Gesundheit interessiert?
»Allerdings!«, sagte Tom energisch. »Für psychische Gesundheit habe ich mich schon immer interessiert!« Das klang ein wenig töricht, aber ihm fiel nichts ein, womit er es retten konnte.
Konformismus ist die Droge, mit der Tom hofft, seine eigenen Probleme mit der psychischen Gesundheit zu kurieren. Obwohl von Natur aus ehrlich, versucht er alles, um sich als Zyniker zu geben. »Mein einziger Lebenszweck ist es, im Dienst der psychischen Gesundheit zu arbeiten«, scherzt er eines Abends mit Betsy. »Ich selbst bin völlig unwichtig. Ich bin ein aufopferungsvoller Mensch.« Als Betsy ihn wegen seines Zynismus schilt und sagt, er solle nicht für Hopkins arbeiten, wenn er ihn nicht möge, antwortet Tom: »Ich mag ihn. Ich bewundere ihn. Mein Herz gehört ihm.«
Im moralischen und emotionalen Zentrum von Der Mann im grauen Flanell steht Toms mehr als vierjähriger Militärdienst. Ob er nun feindliche Soldaten umbrachte oder sich in ein verwaistes italienisches Mädchen verliebte, als Soldat empfand Tom Rath sein Leben als sehr intensiv. Seine Kriegserinnerungen bilden nun einen schmerzlichen Kontrast zu dem »angespannten und hektischen« Friedensleben, in dem, wie Betsy klagt, »nichts mehr besonders Spaß« macht. Vielleicht ist Tom durch seine Kampfeinsätze traumatisiert, vielleicht sehnt er sich aber gerade nach der
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