Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
bist. Es hat nicht funktioniert – wir haben nichts rausgekriegt. Jedes Mal, wenn das Telefon geläutet hat oder die Haustürklingel ging, bin ich zusammengefahren, weil ich Angst hatte, es ist ein Telegramm vom Kriegsministerium. Ich weiß noch, wie ich in diesen Monaten versucht habe, dir Briefe zu schreiben. Es ist nicht einfach, Briefe zu schreiben, wenn man selber keine kriegt und man tief im Innern sicher ist, dass der Mann, dem man schreibt, tot ist. Ich hatte ja auch nicht viel zu schreiben. Ich weiß noch, dass ich versucht habe, fröhlich zu sein und dich nicht merken zu lassen, dass ich mir Sorgen mache. Was hast du mit meinen Briefen gemacht, als du mit ihr zusammengewohnt hast? Habt ihr beiden im Bett gelegen und euch zusammen darüber lustig gemacht?«
»Bitte nicht«, sagte er.
»Doch, ich will es wissen. Was hast du mit meinen Briefen gemacht, als du mit ihr zusammengewohnt hast?«
»Ich glaube, ich habe sie alle erst bekommen, als ich in Neuguinea war. Die Post war ein einziges Durcheinander, während wir verlegt wurden.«
»War sie hübsch, Tommy?«
»Nicht so hübsch wie du. Schau sie dir doch auf dem Foto an.«
»War sie besser im Bett als ich?«
»Hör auf damit.«
»Hatte sie eine gute Figur? Waren ihre Brüste besser als meine?«
»Warum quälst du dich?«
»Ich will eine Antwort.«
»Ich habe sie nicht so sehr geliebt wie dich.«
»Da lügst du doch ein wenig, wie? Ertappst du dich dabei, dass du dich nach ihr sehnst, wenn du mit mir schläfst?«
»Geh doch mal erwachsen damit um«, sagte er. »Ich bin nicht der einzige Mann, der im Krieg ein Kind zurückgelassen hat. In Japan, Italien und Deutschland gibt es Hunderttausende Kriegskinder. Mehr noch in Frankreich, England und Australien. Überall da, wo die Männer zum Kämpfen hingeschickt wurden, waren einige am Ende eben Vater. Sieh’s doch als Laune der Natur. Die Menschheit pflanzt sich eben fort. Vermutlich ist das was Schmutziges. Kriege sind eben voller Schmutz.«
»Du klingst fast selbstgerecht, wenn du darüber sprichst.«
»Es fällt mir schwer, mich richtig dafür zu schämen. Als ich Maria kennenlernte, dachte ich, dass ich dich nie wieder sehe. Weißt du, wie es ist, wenn dir tief in der Magengrube die Angst sitzt? Weißt du, wie es ist, wenn man über jeden Schatten eines Zweifels hinaus sicher ist, dass man den nächsten Sprung nicht überlebt, oder den übernächsten? Und weißt du, wie es ist, wenn man sich halb vor sich selbst fürchtet, weil man tief im Innern weiß, dass man den Letzten, den man getötet hat, mit Freude getötet hat? Weißt du, wie eine Leiche grinst? Wenn man genug von diesem Grinsen sieht, wird alles Anständige auf der Welt zum Witz. Die Toten lachen immer zuletzt – das hat Mahoney gesagt, als wir zusammen in Deutschland waren. Er war einer von denen, die ich getötet habe. Die Toten lachen immer zuletzt. Ich will dich nicht schockieren, Betsy, aber du musst begreifen, dass es für mich gar nicht so schlimm ist, ein Kind zu haben. Vielleicht ist bei mir ja alles verdreht. Seit dem Krieg versuche ich irgendwie, etwas für mich klarzukriegen. Ich habe es nie ganz für mich klären können, aber ich fühle mich immer wieder wie damals, als ich kurz vor einem Sprung stand und wusste, dass eine Menge von uns getötet werden würden. Immer wieder habe ich dasselbe Gefühl wie damals, als ich Hank Mahoney tötete, das Gefühl, dass die Welt bekloppt ist, dass die ganze Welt vollkommen wahnsinnig ist.«
»Und jetzt hast du deinen Teil dazu beigetragen, dass alles wieder gut wird«, sagte Betsy. »Ein paar uneheliche Kinder mehr, und alles kommt wieder in Ordnung.«
»Na gut – ich kann mich nicht verständlich machen. Aber die Liebe, selbst wenn sie zu drei Vierteln aus Lust besteht, erscheint mir nicht so schlimm wie vieles, was ich gesehen habe. Ich liebe Maria nicht mehr – da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Aber sie war bei mir, als ich keinerlei Hoffnung mehr hatte. Sie war das einzig Gute, das mir in dem ganzen Krieg passiert ist, und wir bekamen ein Kind. Schmutzig oder nicht, das erscheint mir doch wie ein Wunder. Was soll ich denn machen, es vergessen? Maria hat keinerlei rechtliche Ansprüche an mich. Ich kann ihr einfach sagen, sie soll sich zum Teufel scheren. Sollte es wirklich zum Schlimmsten kommen und sie verklagt mich, könnte ich beweisen, dass sie eine Prostituierte war. Fändest du dich dann reiner? Ich kann ihr jetzt schreiben, dass ich nicht glaube, dass das
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