Der Mann im Labyrinth
er eines getan hatte, dann alle nur erdenklichen Vorsorgemaßnahmen getroffen, um eine Entdeckung unmöglich zu machen. Davon abgesehen hatten sie auch gar kein Motiv, ihm zu folgen. Er war kein Ausbrecher, den man einfangen und der Gerechtigkeit wieder zuführen mußte. Er war lediglich ein Mensch mit einem entsetzlichen Leiden, ein abscheuliches Geschöpf in den Augen seiner Rassegenossen. Und ohne Zweifel war die Erde zufrieden, ihn losgeworden zu sein. Für die Menschen war er Objekt der Scham und Stein des Anstoßes zugleich, ein immersprudelnder Quell von Schuldgefühl und schlechtem Gewissen, ein Stich im Bewußtsein der planetaren Gemeinschaft. Das Nützlichste und Beste, was er für seine eigene Art tun konnte, war, sich aus ihrer Mitte zu entfernen. Und das hatte er so gründlich getan, wie ihm das nur möglich gewesen war. Sie würden sich kaum die Mühe machen, nach jemandem zu suchen, der so viel Ekel in ihnen hervorrief.
Aber wer waren dann diese Eindringlinge?
Archäologen, vermutete er. Die Ruinenstadt von Lemnos übte noch immer eine magnetische, fatale Faszination auf sie aus … nicht nur auf sie, auf alle. Muller hatte gehofft, die Gefahren des Labyrinths würden die Menschen fernhalten. Vor über einem Jahrhundert hatte man es entdeckt, aber vor seiner Ankunft Lemnos lange Jahre gemieden. Und das aus gutem Grund: Muller hatte mehrere Male die Leichen derjenigen gesehen, die versucht hatten, das Labyrinth zu betreten, und dabei gescheitert waren. Teilweise hatten ihn selbstmörderische Absichten hierher getrieben, zum anderen hatte er natürlich auch seine übergroße Neugierde befriedigen, hineingelangen und das Geheimnis des Labyrinths lösen wollen, auch aus dem Wissen heraus, daß er im Falle eines erfolgreichen Durchkommens nicht allzu viele Störungen seiner Zurückgezogenheit zu befürchten hatte. Jetzt befand er sich mitten im Labyrinth, trotzdem waren Störenfriede gekommen.
Aber sie werden nicht hineingelangen, beruhigte sich Muller.
Geschützt und geborgen im Herz des Irrgartens sitzend, hatte Muller genügend Beobachtungs- und Überwachungsinstrumente zur Verfügung, um, wenn auch teilweise vage und verschwommen, die Manöver aller lebenden Wesen außerhalb der Mauern zu verfolgen. Er war damit auch in der Lage, die interzonalen Wanderungen der Tiere zu beobachten, die seine Beute werden sollten, und auch die der riesigen Lebewesen, denen er nicht zu nahe kommen durfte. In bescheidenem Umfang konnte Muller sogar die Fallen des Labyrinths kontrollieren. Normalerweise handelte es sich bei ihnen um passive Anlagen. Aber unter gewissen Voraussetzungen konnte man sie in aggressive Tötungsvorrichtungen umwandeln und gegen jeden Feind einsetzen. Mehr als einmal hatte Muller ein elefantengroßes Raubtier in eine unterirdische Fallgrube gelockt, nachdem es sich bis in Zone D vorgewagt hatte. Er fragte sich nun, ob er diese Verteidigungsanlagen auch gegen Menschen einsetzen wollte, sobald sie so weit vordringen würden. Aber er konnte sich darauf keine Antwort geben. In Wirklichkeit haßte er seine eigene Rasse nicht, er zog es nur vor, allein zu bleiben, für sich zu sein, in Ruhe gelassen zu werden.
Er warf einen Blick auf die Bildschirme. Muller befand sich in einer schmucklosen, sechseckigen Kammer – offensichtlich eine ehemalige Wohneinheit im Stadtkern –, von der eine Wand mit Panoramascheiben bestückt war. Er hatte mehr als ein Jahr gebraucht, bis er herausgefunden hatte, welche Teile des Labyrinths mit den Bildern auf den Monitoren korrespondierten. Nachdem er geduldig Kennzeichen ausgemacht und immer neue Markierungspunkte gesetzt hatte, war es ihm gelungen, die matten Abbildungen mit der sonnenhellen Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Die sechs unteren Bildschirme zeigten ihm Ausschnitte aus den Zonen A bis F. Die Kameras, oder was auch immer dahinter stecken mochte, umfaßten einen Bereich von 180° und ermöglichten so den versteckten, geheimnisvollen Augen, die gesamte Region rund um die jeweiligen Zoneneingänge zu überwachen. Da nur ein einziger Eingang sicheren Zugang zu der dahinterliegenden Zone ermöglichte und alle anderen Todesfallen waren, gestatteten die Bildschirme Muller eine effektive Observierung des Vordringens eines jeden umherstreifenden Lebewesens. Es spielte gar keine Rolle, was sich im einzelnen an den Scheineingängen abspielte – jeder, der es dort versuchte, mußte sterben.
Die darüber liegenden Schirme sieben bis zehn übertrugen
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