Der Mann im Labyrinth
war und keinen Hinweis auf die aktuelle Existenz einer äußeren Bedrohung zuließ.
Waren sie vielleicht von Invasoren heimgesucht worden, für die der Irrgarten kein Problem darstellte und die sie auf ihren glatten Straßen abgeschlachtet hatten? Und hatten die mechanischen Hüter danach die Knochen der Toten beseitigt? Es gab keine Möglichkeit, das noch in Erfahrung zu bringen. Sie waren verschwunden. Als Muller die Stadt betreten hatte, war sie still und verlassen gewesen, so als hätte sie nie Leben in ihren Mauern beherbergt. Eine automatische, eine sterile, eine fehlerlose Stadt – nur von Tieren bewohnt. Sie hatten Millionen Jahre Zeit gehabt, den Weg durch das Labyrinth zu finden und davon Besitz zu ergreifen. Muller hatte zwei Dutzend verschiedene Säugetierarten gezählt, in allen Formen und Größen, angefangen von einem rattenartigen bis zu einem elefantenähnlichen Tier. Es gab Grasfresser unter ihnen, die sich an den städtischen Gärten gütlich taten, und Raubtiere, die sich von den Pflanzenfressern ernährten. Insgesamt eine anscheinend funktionierende Biosphäre. Die Stadt im Labyrinth erinnerte an Jesaias Wort über Babylon: Die wilden Tiere der Wüste sollen in Dir lagern; und Eure Häuser sollen angefüllt sein mit beklagenswerten Kreaturen; und Eulen werden sich dort niederlassen, Satyre dort tanzen.
Jetzt gehörte die Stadt ihm. Den Rest seines Lebens würde er damit verbringen, ihre Geheimnisse zu entschleiern.
Andere waren vor ihm hierher gekommen, und nicht alle waren menschlich gewesen. Bei seinem Eintritt war Muller der Anblick derjenigen nicht erspart geblieben, die dabei gescheitert waren, den richtigen Weg zu finden. Er hatte eine Gruppe menschlicher Skelette in den Zonen H, G und F entdeckt. Drei Menschen waren bis in Zone E vorgestoßen, einer sogar nach D. Muller hatte erwartet, auf ihre Gebeine zu stoßen. Was ihn aber überraschte, war die Ansammlung außerirdischer Knochen. In H und G hatte er die Überreste großer, drachenähnlicher Wesen gesehen, an deren Skeletten immer noch die Fetzen ihrer Raumanzüge hingen. Eines Tages mochte bei ihm vielleicht die Neugierde über die Angst triumphiert haben, und er kehrte dorthin zurück, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Näher am Zentrum befand sich eine ganze Sammlung unterschiedlicher Lebensformen. Die meisten waren humanoid, wenn sie auch immer etwas von der Standardstruktur abwichen. Wie lange ihr Besuch zurücklag, konnte Muller nicht einmal schätzen. Ob durch das trockene Klima freiliegende Skelette länger als ein paar hundert Jahre überdauern konnten? Die galaktischen Überreste waren ständige ernüchternde Mahnung an etwas, über das sich Muller längst im klaren war: Trotz der zweihundert Jahre interstellarer Reisen, die die Menschheit nun hinter sich gebracht hatte und in denen sie nur einer außerirdischen Rasse begegnet war, beherbergte das Universum eine Fülle unterschiedlichster Lebensformen. Und früher oder später würde die Menschheit auf sie stoßen. Der Friedhof auf Lemnos enthielt die Überreste von einem guten Dutzend verschiedener Rassen. Es schmeichelte Mullers Ego, diese Erkenntnis offensichtlich ganz allein zu besitzen. Aber es bereitete ihm keine Freude, um die Mannigfaltigkeit des Universums zu wissen. Er hatte die Nase von Galaxien gestrichen voll.
Wie eigenartig der Umstand war, daß er die Knochenreste wahllos im Irrgarten aufgefunden hatte, ging ihm erst nach einigen Jahren auf. Er wußte, daß die Instandhaltungsmechanismen der Stadt allen Schmutz und Abfall restlos beseitigten. Sie säuberten alles, angefangen von Staubpartikeln bis zu den Knochen der Tiere, die Muller nach dem Verspeisen wegwarf. Nur die Skelette der Eindringlinge im Labyrinth wurden dort belassen, wo sie gerade lagen. Warum wurde hier das Sauberkeitsprinzip so verletzt? Warum wurde der Kadaver eines elefantengroßen Tieres, das in eine Energieschlinge geraten war, beseitigt und gleichzeitig die Überreste des abgeschlachteten Drachenwesens in derselben Schlinge unberührt liegengelassen? Weil der Drachen eine Art Schutzkleidung trug, also intelligent war? Leichen intelligenter Wesen, das wurde Muller klar, wurden unbekümmert liegengelassen.
Als Warnung: LASST ALLE HOFFNUNG FAHREN, IHR, DIE IHR HIER EINTRETET.
Diese Skelette waren Bestandteil der psychologischen Kriegsführung, die von der seelenlosen, unsterblichen, diabolischen Stadt gegen alle Eindringlinge eingesetzt wurde. An allen Ecken und Enden wurde man an
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