Der Mann im Labyrinth
Donner der Musik und die Musik des Donners; seidiges Haar, mit dem seine Finger spielten; Linien, die man in weicher Erde zog; glitzernde Schulen winziger Fische; die Turmanlagen von Newer Chikago; die Bordelle von Under New Orleans; Schnee; Milch; Wein; Hunger; Feuer; Schmerz; Schlaf; Sorge; Apfel; Dämmerung; Tränen; Johann Sebastian Bach; brutzelndes Fett in der Pfanne; das Lachen alter Männer; Sonnenuntergang am Horizont; das Widerspiegeln des Mondes auf dem Meer; das Licht der Sterne am Himmel; den Feuerstrahl startender Raketen; Sommerblumen unter Gletschergipfeln. Vater; Mutter; Jesus; das ewig wiederkehrende Wunder des Morgens; Traurigkeit; Freude. Er gab alles hin und noch viel mehr. Und er wartete auf Antwort. Aber die erhielt er nie. Und als er ganz und gar leer war, lag er mit dem Gesicht nach unten auf dem Metallboden. Ausgesaugt, hohl und erschöpft starrte er mit blinden Augen in den Abgrund.
4
Als er wieder aufstehen konnte, verließ er den Satelliten. Die Luke öffnete sich, um ihn zu seiner Landekapsel zu lassen. Sie stieg zu seinem Schiff auf. Kurze Zeit später befand er sich im Warpflug. Er schlief die meiste Zeit. Unweit des Antares-Systems kehrte er in den Normalraum zurück, übernahm selbst die Steuerung des Raumers und änderte den Kurs. Er sah keinen Grund, zur Erde zurückzukehren. Die Überwachungsstation nahm seine Anfrage auf, verarbeitete sie, stellte fest, ob die Flugbahn frei war und gestattete ihm den sofortigen Weiterflug nach Lemnos. Muller schaltete wenig später auf Warpflug um. Als er kurz vor Lemnos den Warpraum verließ, entdeckte er, daß sich bereits ein Schiff im Orbit befand und auf ihn wartete. Er kümmerte sich nicht darum und ging den Routinearbeiten für die bevorstehende Landung nach. Aber das andere Schiff bestand auf einem Kontakt. Muller schaltete schließlich sein Funkgerät ein.
„Hier spricht Ned Rawlins“, sagte eine seltsam ruhige Stimme. „Warum hast du deinen Kurs geändert?“
„Was spielt das jetzt noch für eine Rolle? Ich habe meinen Auftrag erledigt.“
„Du hast noch keinen Bericht abgegeben.“
„Also gut, dann hole ich das jetzt nach. Ich habe den Fremden aufgesucht. Wir haben uns nett und angeregt unterhalten. Er hat mir Gebäck und Tee angeboten, und danach durfte ich wieder nach Hause fliegen. Jetzt bin ich fast zuhause. Ich weiß nicht, welche Auswirkungen mein Besuch auf die Zukunft der menschlichen Geschichte haben wird. Ende des Berichts.“
„Und was willst du jetzt tun?“
„Nach Hause gehen, das habe ich doch schon gesagt. Das hier ist mein Zuhause.“
„Lemnos?“
„Lemnos.“
„Dick, laß mich zu dir an Bord kommen. Schenk mir zehn Minuten … persönlich. Bitte, sag nicht nein.“
„Ich sage nicht nein“, antwortete Muller.
Bald darauf löste sich eine Flugkapsel vom anderen Schiff und paßte sich der Geschwindigkeit und der Flugbahn von Mullers Raumer an. Geduldig ließ Muller das Andockmanöver zu. Rawlins betrat sein Schiff und legte den Helm ab. Er wirkte älter, erschöpft und sah blaß aus. In seinen Augen stand ein anderer Ausdruck. Die beiden sahen sich einen langen, schweigenden Moment an. Dann trat Rawlins vor und ergriff Mullers Handgelenk zum Gruß.
„Ich hätte nicht geglaubt, dich jemals wiederzusehen, Dick“, sagte er. „Und ich wollte dir sagen …“
Er hielt abrupt inne.
„Ja, was wolltest du erzählen?“ fragte Muller.
„Ich spüre es nicht“, sagte Rawlins. „Ich spüre es nicht mehr!“
„Was?“
„Dich. Deine Ausstrahlung. Sieh doch, ich stehe direkt vor dir und fühle oder spüre nichts. All der Unrat, das Leid, die Verzweiflung … nichts kommt mehr von dir!“
„Der Extragalaktiker hat alles aufgesogen“, sagte Muller leise. „Deine Reaktion überrascht mich nicht. Die Seele hat meinen Körper verlassen. Und nicht alles würde mir zurückgegeben.“
„Wovon redest du eigentlich?“
„Ich habe gefühlt, wie der Fremde alles aus mir herausgesaugt hat. Ich wußte, daß er mich veränderte. Aber nicht aus Vorsatz. Es war eine eher zufällige Veränderung. Ein Nebenprodukt sozusagen.“
„Dann wußtest du es also“, sagte Rawlins langsam. „Noch bevor ich überhaupt an Bord gekommen bin.“
„Ja, aber jetzt habe ich den Beweis.“
„Und trotzdem willst du zurück ins Labyrinth. Warum?“
„Es ist mein Zuhause.“
„Die Erde ist dein Zuhause, Dick. Es gibt keinen Grund, warum du nicht dorthin zurückkehren solltest, Dick. Du bist
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