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Der Mann im Labyrinth

Der Mann im Labyrinth

Titel: Der Mann im Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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haben sich schnell zurückgezogen“, sagte Muller. „Auf sechs Beinen sind sie vor mir davongekrabbelt.“
    „Du hast ihnen nicht genug Zeit gelassen.“
    „Doch, sie hatten Zeit genug.“
    „Nein“, beharrte Rawlins. Er rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. „Jetzt werde ich dir einmal etwas sagen, was dir wirklich Schmerz bereiten wird, Dick. Es tut mir leid, aber ich muß es tun. Was du mir erzählt hast, ist der Krampf, den ich mir schon auf dem College bis zum Erbrechen anhören mußte. Pubertätszynismus und so. Du sagst, die Welt ist nur zu verachten. Sie ist böse, gemein und niederträchtig. Du hast die wahre Natur des Menschen erkannt und willst deshalb mit der Menschheit nichts mehr zu tun haben. Mit achtzehn Jahren redet jeder so daher. Aber das ist eine Wachstumsphase, die vorübergeht, von einer anderen abgelöst wird. Wir überwinden die Verwirrung auch wieder, die mit achtzehn über uns kommt, und dann können wir erkennen, daß die Welt ein ganz angenehmer Ort ist, daß die Leute sich redlich bemühen, daß wir zwar nicht perfekt, aber ganz und gar nicht widerwärtig sind …“
    „Ein Achtzehnjähriger hat kein Recht auf eine solche Meinung. Ich dagegen schon. Ich habe meinen Haß auf Heller und Pfennig erworben, bin mit der Nase darauf gestoßen worden.“
    „Aber warum klebst du denn so daran? Du scheinst dich deines Leids zu rühmen. Befrei dich doch davon! Schüttle es ab! Komm mit zur Erde und vergiß die Vergangenheit. Oder übe wenigstens Nachsicht.“
    „Es gibt weder Vergessen noch Vergeben“, knurrte Muller. Eine Woge aus Furcht durchfuhr ihn, er zitterte. Was, wenn das alles wahr wäre? Eine durchgreifende Heilung? Lemnos verlassen? Er war verwirrt. Der Junge hatte seinen wunden Punkt mit der Bemerkung über den Pubertätszynismus getroffen. Und er hatte recht damit. Bin ich wirklich so ein Misanthrop? Gebe ich nur etwas Hohles vor? Er hat mich gezwungen, darüber nachzudenken. Polemische Gründe. Und jetzt ersticke ich an meiner eigenen Dickköpfigkeit. Aber es gibt keine Heilung. Der Junge verhält sich zu durchsichtig. Er lügt, auch wenn ich nicht weiß, warum. Er will mich hineinlegen, will mich an Bord ihres Schiffes locken. Und wenn es doch stimmt? Warum nicht zurück auf die Erde? Muller wußte die Antwort darauf: Die Furcht hielt ihn zurück. Das Wiedersehen mit den Milliarden Erdmenschen. Wieder in das brodelnde Leben eintreten. Neun Jahre hatte er in seiner isolierten Inselstadt zugebracht, und jetzt machte ihm die Vorstellung einer Rückkehr Angst. Er gab sich einer Stimmung aus tiefer Depression hin, sah sich mit harten Wahrheiten konfrontiert. Der Mann, der einst ein Gott hatte sein wollen, war nun nicht mehr als ein erbärmlicher Neurotiker; einer, der sich an seine Isolation klammerte; einer, der seinem möglichen Retter mit Trotz begegnete. Traurig, mein lieber Muller, dachte er. Sehr traurig.
    „Ich spüre“, sagte Rawlins, „daß die Qualität deiner Ausstrahlung sich etwas verändert hat.“
    „Das kannst du?“
    „Oh, es ist nichts Spezifisches. Aber bis vorhin herrschten Ärger und Bitterkeit vor. Nun empfange ich etwas anderes … Sehnsucht.“
    „Noch nie hat jemand erklärt, er könne aus meiner Ausstrahlung etwas Bestimmtes herauslesen“, sagte Muller erstaunt. „Aber eigentlich hat sich nie jemand darüber ausgelassen. Außer, daß es schmerzhaft sei, in meiner Nähe zu sein. Und abstoßend.“
    „Warum bist du dann plötzlich sehnsüchtig geworden – wenn wir einmal davon ausgehen wollen? Hast du an die Erde gedacht?“
    „Vielleicht.“ Muller stabilisierte rasch die plötzliche Lücke in seinem Seelenpanzer. Sein Gesicht verfinsterte sich. Er biß die Zähne zusammen. Dann stand er auf und ging absichtlich auf den jungen Mann zu. Er beobachtete dabei, wie Rawlins mit sich kämpfen mußte, um seine wahren, unbehaglichen Gefühle zu verbergen. „Ich glaube, du hilfst jetzt besser deinen Kollegen bei der Arbeit“, sagte Muller. „Sonst werden deine Freunde wieder ärgerlich.“
    „Ich kann noch etwas Zeit erübrigen.“
    „Nein, das kannst du nicht, Ned. Geh!“
     
     
3
     
    Entgegen Boardmans ausdrücklicher Anordnung bestand Rawlins darauf, an diesem Abend zum Basislager in Zone F zurückzukehren. Der junge Mann gab vor, er wolle die neue Flasche bei Boardman persönlich abliefern, die er von Muller bekommen hatte. Boardman wollte ihm einen Mann entgegenschicken, der die Flasche entgegennehmen konnte, um Rawlins das Risiko

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