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Schuld währt ewig

Schuld währt ewig

Titel: Schuld währt ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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1
    Über Nacht war der Frost gekommen. Die Ackerfurchen trugen Ränder wie Salzkrusten. Der Staketenzaun vor Susannes Haus glitzerte in der Morgensonne. Haarfeine Frostnadeln überzogen den verwilderten Garten. Der erste Raureif des Jahres.
    Die vertrockneten Stauden, die kahlen Äste des Flieders, die verwitterte Bank unter der Kastanie, die Chrysanthemen, die in einem täglich dunkler werdenden Rot in ihrem Topf neben dem Wassertrog verblühten – alles war weiß bestäubt. Eine verzauberte Welt, die für einen Augenblick die Illusion erweckte, frei von Schmerz und Leid zu sein.
    Auf dem umgepflügten Feld jenseits des Zauns nahm Susanne eine Bewegung wahr. Es war der graue Kater, der sie gelegentlich besuchte. Da er weder ein Halsband trug noch eine Tätowierung im Ohr hatte, vermutete sie, dass er ganz auf sich gestellt war.
    Seit er sie ab und zu auf ihren Morgenspaziergängen begleitete, nannte sie ihn Herr Kater . Er hatte etwas an sich, das auf Sanne würdevoll und stolz wirkte und einen niedlichen Namen verbot.
    Vor einigen Tagen war er das erste Mal mit ins Haus gekommen. Interessiert hatte er verfolgt, wie sie Frühstück machte und Tee kochte. Sicher war er hungrig. Katzenfutter gab es in ihrem Haushalt nicht. Also stellte sie ihm ein Schälchen Wasser mit einem Schuss Milch hin. Er würdigte es eines kurzen Blickes und wandte sich ab. Seine ganze Haltung drückte Missbilligung aus. Was, keine Maus im Haus?
    Sanne musste lachen. Ob tatsächlich keine Maus in diesem über hundert Jahre alten Gebäude lebte, wusste sie nicht. Beim nächsten Einkauf würde sie jedenfalls Katzenfutter besorgen.
    Während sie ein Marmeladenbrot aß, schlief Herr Kater zusammengerollt auf einem Stuhl. Erst als sie den Deckel von einem Becher Bulgara-Joghurt zog, kam wieder Bewegung in ihn. Er stellte die Ohren auf und sprang auf den Tisch.
    »Willst du etwa Joghurt?«
    Ein dunkles Maunzen war die Antwort.
    »Wirklich?«
    Wieder ein Maunzen. Knapp, wie ein Befehl.
    Sanne stand auf und füllte etwas vom Joghurt in das Schälchen. Mit einem Satz sprang der Kater vom Tisch und schleckte es im Handumdrehen leer. Erwartungsvoll blickte er zu ihr auf. Für den Anfang war das nicht schlecht. Ich bin allerdings ein ausgewachsener Kater und kein Kätzchen. Also bitte keine Kinderportionen , schien er damit zu sagen.
    Sanne lachte. »Okay. Wenn du meinst. Aber ein wenig extravagant ist das schon. Oder?«
    Herr Kater hatte an jenem Morgen tatsächlich einen ganzen Becher Joghurt gefressen. Seither hatte Sanne immer einen Vorrat für ihn daheim.
    Zielstrebig eilte er nun auf das ehemalige Waschhaus des Gutshofs zu, in dem sie wohnte und ihre Werkstatt hatte. Seit das Novemberwetter täglich grauer und kälter wurde, zog er es vor, seine Vormittage hier zu verbringen. Meist kam er, wenn sie mit ihrer Arbeit begann. So wie heute.
    Mit einem eleganten Sprung setzte er über den Zaun und blieb für einen Augenblick unter der Kastanie stehen, in der zwei aufgeplusterte Amseln saßen. Begehrlich sah er nach oben. Doch diese süßen Trauben hingen zu hoch. Als Sanne die Hintertür öffnete, kam mit dem Kater ein Schwall prickelnd kalter Luft herein und ließ sie erschauern. Rasch schloss sie die Tür.
    »Lausig kalt, gell?«
    Wie zur Antwort drückte er sich gegen ihre Beine und stupste mit dem Kopf gegen ihre Wade. Sanne setzte sich. Herr Kater sprang auf ihren Schoß und ließ sich das Fell kraulen, bis er genug hatte und mit einem Satz auf den Schemel neben dem Kaminofen umzog.
    Das Feuer war über Nacht bis auf einen Rest Glut heruntergebrannt. Sanne öffnete die Ofentür und warf zwei Briketts hinein. Nicht nur die Werkstatt, sondern auch Wohnzimmer, Schlafzimmer und Bad wurden mit Öfen beheizt. Sie wohnte eben im ehemaligen Waschhaus des Guts Paschkofen und nicht in einer komfortablen Wohnung in München-Neuhausen. Und das war gut so. Luxus und Komfort war für andere bestimmt. Nicht für sie.
    Schon kurz nach neun. Sie rieb die kalten Hände aneinander. Eines der Briketts fing bereits Feuer. Bald würde es warm werden. Wie jeden Morgen zündete sie als Erstes den Spiritusbrenner an, der auf der Werkbank stand, und drehte die Flamme kleiner. Dabei warf sie einen Blick aus dem Fenster. Langsam stieg die Sonne höher. Das fahle Gelb wurde kräftiger, wärmer. Innerhalb der nächsten Stunde würde der Raureif verschwunden sein.
    Alles war vergänglich.
    Mit diesem Gedanken legte sich wieder das Gefühl nahenden Unheils als diffuse Angst in

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