Der Mann im Labyrinth
ähnliche Experimente zur Verfügung stellen. Sie entdeckten Sitzbänke: polierte Steinplatten, die an den Enden zu einander gegenüberliegenden Sitzflächen hochgewölbt waren. Allerdings waren sie für Wesen vorgesehen, deren Gesäß wesentlich breiter war als das eines Homo sapiens. Als sie sich niederließen, saßen sie einige Meter auseinander, nahe genug jedenfalls, um sich miteinander zu unterhalten. Rawlins spürte so aufgrund von Mullers Ausstrahlung nur ein leichtes Unbehagen. Andererseits hatten beide nicht das Gefühl, voneinander getrennt zu sein.
Muller war in gesprächiger Stimmung.
Die Konversation verlief flüssig und wurde nur hin und wieder von galligen Momenten des Ärgers oder Selbstmitleids unterbrochen. Doch die meiste Zeit über blieb Muller ruhig, entwickelte stellenweise sogar so etwas wie Charme und verhielt sich ganz so wie ein älterer Herr, der offensichtlich die Gesellschaft eines jungen Mannes genießt. Die beiden tauschten Meinungen und Erfahrungen aus, und hin und wieder wurde es sogar ein wenig philosophisch. Muller erzählte viel vom Beginn seiner Karriere, von den Welten, die er gesehen hatte, und von den oftmals komplizierten Verhandlungen, die er für die Erde mit zahlreichen aufmüpfigen Kolonialwelten geführt hatte. Er erwähnte den Namen Boardman recht häufig, aber jedesmal gelang es Rawlins, mit nichtssagender Miene darauf zu reagieren. Mullers Gefühle für Boardman schienen hauptsächlich aus ehrlicher Bewunderung zu bestehen, in die sich ein Schuß Abscheu und Wut mischten. Offensichtlich konnte er Boardman nicht vergeben, daß er es mit einem geschickten Appell an seine Schwächen verstanden hatte, ihn zu den Hydriern zu schicken. Kein sonderlich von Logik beeinflußtes Verhalten, dachte sich Rawlins. Hätte er über Mullers von Neugierde und Ehrgeiz geprägten Charakter verfügt, hätte er mit allen Mitteln darum gekämpft, den Auftrag zu jener Mission zu bekommen, egal ob es da einen Boardman gegeben hätte oder nicht, und auch, ohne sich größere Gedanken über die Risiken zu machen.
„Kommen wir doch auch einmal zu dir“, sagte Muller endlich. „Du bist cleverer, als du vorgibst. Deine Schüchternheit behindert dich vielleicht noch etwas, aber du besitzt einen ausgezeichneten Verstand, der sorgfältig hinter einem Pennälerauftreten verborgen liegt. Was willst du eigentlich erreichen, Ned? Was gibt dir die Archäologie?“
Rawlins sah ihm direkt ins Gesicht. „Sie gibt mir die Chance, Millionen von Vergangenheiten zu begreifen. Im Grunde bin ich genauso unersättlich wie du. Ich will wissen, wie es zu bestimmten Entwicklungen gekommen ist, was alles passiert ist. Und zwar nicht nur auf der Erde oder im Sonnensystem, sondern überall.“
„Gut gesprochen, mein Junge!“
Das denke ich mir auch, sagte sich Rawlins und hoffte, Boardman wäre ebenso erfreut über seine wiedergefundene Beredsamkeit.
„Ich denke mir“, fuhr er fort, „ich hätte mich ebenso wie du für eine Diplomaten-Laufbahn entscheiden können. Aber statt dessen habe ich diesen Weg gewählt. Und ich glaube, meine Entscheidung war richtig. Es gibt so viel zu erforschen und entdecken, hier und überall. Wir haben gerade erst damit begonnen, fremde Welten zu erkunden.“
„Hingabe klingt in deiner Stimme mit.“
„Das überrascht mich nicht.“
„Ich mag diesen Klang. Er erinnert mich an die Art, wie ich selbst einmal gesprochen habe.“
„Damit du nicht den Eindruck gewinnst, ich sei ein idealistischer Spinner, muß ich wohl hinzufügen, daß es vor allem meine Neugierde ist, die mich vorantreibt, und nicht so sehr eine abstrakte Liebe zur Wissenschaft.“
„Das ist verständlich. Und entschuldbar. Dann sind wir beide eigentlich gar nicht so verschieden, wenn man einmal von den circa vierzig Jahren absieht, die zwischen uns stehen. Mach dir nicht allzu viele Gedanken über deine Beweggründe, Ned. Geh zu deinen Sternen, sieh dich um, erleb’ etwas. Irgendwann wird das Leben auch dich zerschmettern, so wie es das mit mir getan hat. Aber bis dahin ist es noch lang. Irgendwann einmal, vielleicht auch nie, wer will das schon wissen? Vergiß das lieber wieder.“
„Ich will es versuchen“, sagte Rawlins.
Er spürte jetzt Wärme von seinem Gegenüber, den Ausfluß tiefer und ehrlich gemeinter Sympathie. Natürlich war die alptraumhafte Woge damit nicht verschwunden, die nicht enden wollende Ausstrahlung aus den Sümpfen der Seele. Sie war jetzt deutlich verdünnt, aber immer noch
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