Der Mann mit dem Fagott
beeindruckende Erfahrung.
»Da, da drüben! Da ist was frei«, ruft Buddy uns zu und rennt los. Wir hinterher. »Ein Prosit der Gemütlichkeit«. Tausende Liter Bier rinnen durch die Kehlen. Wir bestellen für jeden von uns eine Maß. Und Rettich, »Radi«, wie man hier sagt. Später Brathähnchen. Heute lassen wir’s uns gutgehen. Lärm. Gespräche sind kaum möglich. Eine merkwürdige, lebendig-berauschende Atmosphäre. Ich lasse mich von der Stimmung tragen. Selbst die sehr bodenständige Musik macht mir Spaß. Hier paßt sie hin.
Kurz vor zehn. Die Musik hört auf zu spielen, und es heißt »Austrinken«. Wir können doch jetzt nicht gehen! Kommt gar nicht in Frage! Das »Hippodrom« soll als einziges Zelt noch geöffnet sein. Natürlich ist es überfüllt. In der Mitte ein Rondell mit Pferden, auf
denen die meist schon angetrunkenen Gäste zur Belustigung des Publikums gegen Bezahlung reiten können. Es wirkt schon ein wenig bizarr. »Hat was von Kafka«, bringt Klaus meine Gefühle auf den Punkt. Um das Rondell herum die Bänke und Tische. Es wirkt ein bißchen wie ein Theater, in dem Darsteller und Publikum eins werden, ununterscheidbar. Selbstdarsteller finden ihr Parkett. Andere sehen nur zu. Das ewige Spiel des Lebens. Ein Hauch von Zirkus, gemischt mit fast ein wenig Eleganz. Volksfest und Varieté.
Nach einer Weile ratlosen Wartens und Staunens finden wir einen Platz. Hier wird nicht nur Bier, sondern auch Wein und anderes getrunken. Die Musik nicht ganz so derb wie in den Bierzelten. Die letzten Minuten meines zwanzigsten Lebensjahrs. Stillschweigend sparen wir uns den Sekt. Daß wir uns den nicht leisten können, ist uns allen klar. Ist auch nicht wichtig.
Uhrenvergleich. Noch ein paar Sekunden. Seltsame Spannung in mir. Ich würde den Moment gern festhalten, das neue Lebensjahr mit würdigen Gedanken zur Volljährigkeit willkommen heißen. Natürlich fällt mir nichts Würdiges ein. Die Sekunden verrinnen. Buddy erhebt sein Glas.
Ein Tusch im Orchester. Wir starren uns entgeistert an. Nein, wir haben uns nicht verhört. Das Orchester spielt tatsächlich »Happy Birthday«! Einen Augenblick lang können wir es kaum fassen, vergessen fast anzustoßen. Doch das Gegröle an einem der anderen Tische klärt uns auf: Eine andere Geburtstagsrunde hat sich diesen musikalischen Gruß etwas kosten lassen. Wie viele von den Tausenden Leuten hier mögen in diesem Augenblick wohl auch ihren Geburtstag feiern, frage ich mich. Ich nehme das Ständchen gern auch für mich in Anspruch und werte es als ein gutes Omen.
»Auf dich und auf deine Zukunft!« prostet Klaus mir zu. »Wenn’s einer schafft, dann bist es du!« Wir liegen uns in den Armen. Aufgedreht und trotzdem seltsam ruhig malen wir uns gemeinsam eine großartige Zukunft für mich aus: Große, weite Welt, und ich bezwinge sie. - Träume … »Wenn nur das nächste Engagement mir meinen Anzug wieder einbringt«, sind die viel näherliegenden Wünsche.
Um eins schließt auch das »Hippodrom«. Mir schwirrt der Kopf, auch von der sehr vordergründigen, lauten, oft banalen Musik.
»Jetzt müssen wir aber noch richtige Musik hören! Auf in die Clubs!«
Die Münchener Szene hat sich auch in Salzburg herumgesprochen. Man muß entweder ins neu eröffnete »P1«, den Superschuppen für junge Leute in der Prinzregentenstraße oder in den »Hotclub«. Ins »Studio 15«, das wäre die Krönung! - Freddie Brocksieper, den Gentleman-Drummer der Münchener Jazz-Szene spielen hören. Aber ob wir da reinkommen? Drei Lokale sind zuviel. Das wird zu spät und zu teuer. »Also zwei schaffen wir noch«, gibt Klaus sich sicher. Der »Hotclub« und das »Studio 15« liegen beide in Schwabing. Nicht weit weg von unserer Pension. Das könnte klappen. Also auf nach Schwabing und rein ins Vergnügen!
Schon auf der Treppe nach unten zum »Hotclub«, der in einem Kellergewölbe liegt, begegnen uns seltsame Gestalten. »Existentialisten« flüstert Buddy mir zu, der damit mal wieder seine Kenntnis der Szene und ihrer Terminologie unter Beweis stellt.
Kurz noch die Haare gestylt. Mit viel Liebe und Gel habe ich vor unserem Aufbruch zur »Wies’n« meine Haare gescheitelt und zur Tolle getürmt. Jetzt droht sie sich aufzulösen. Mit dem Kamm, der für solche Zwecke immer in meiner hinteren Hosentasche steckt, bringe ich das wieder in Ordnung. Ein letzter Blick in den Spiegel. »Bist schon schön genug«, zieht Klaus mich lachend auf. Los geht’s!
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