Der Mann mit dem Fagott
exzentrisch gebende Menschen. Viele schwarzgekleidet. Blasierte Blicke. Blasse Gesichter. Schöne Frauen, auffallend zurechtgemacht. Offenes, ungebändigtes Haar, das beim Tanzen wild umhergewirbelt wird. Schuhe scheinen unmodern zu sein. Viele Mädchen auf der Tanzfläche sind barfuß. Ich komme mir deplaciert vor mit meinen Alltagsklamotten. Den beiden anderen scheint es ähnlich zu ergehen. Ein Hauch von Provinz - für die »große weite Welt« müssen wir noch viel lernen, denke ich mir, obwohl diese Leute nun wirklich nicht mein Vorbild sind.
Qualm von Hunderten Zigaretten. Süßlicher Geruch nach Marihuana. Man probiert sich aus. Fremd für mich, ein wenig beklemmend und doch faszinierend zu beobachten. Aufregend neu. Ganz anders als bei uns in Salzburg. Es selbst auszuprobieren, reizt keinen von uns. Ganz und gar nicht unsere Welt.
Eine englische Band spielt eine Mischung aus Rhythm and Blues und dem gerade neu aufkommenden Rock’n’Roll. Den Tanz, den ich schon lange als Jitterbug kenne, beherrsche ich gut. Ich tanze ihn oft und gern. Hier aber habe ich keine Lust zu tanzen. Nicht heute abend. Die Frauen hier sind eine Nummer zu schräg für mich. Sicher würde ich für eine Aufforderung zum Tanz nur verächtliche Blicke ernten, ein knappes »Nein, danke«, von oben herab - oder gar keine Antwort. Lieber heute nur zuschauen, einen Drink nehmen, beobachten, zuhören. Als hätte Buddy meine Gedanken erraten, lacht er. »Also das mit dem Aufreißen wird heute wohl nichts …« Natürlich nicht! Was soll’s. Wir genießen den Abend auch so. Wir trinken aus und ziehen weiter zum »Studio 15«.
»Zeig deinen Ausweis, Burschi«, fordert ein breitschultriger, großer Türsteher mich freundlich-gelassen auf, fast desinteressiert. Wieder so ein Jugendlicher ohne eine müde Mark in der Tasche, der sich hier reinschleichen will.
Ich bin hoch aufgeschossen, zaundürr, schlaksig, sehe aus als wäre ich höchstens 16. Schweigend ziehe ich meinen Ausweis aus der Tasche. Der Türsteher mustert mich in meinem ganz und gar nicht szenigen Aufzug und meiner mühsam zurechtgestylten, schlurfigen Frisur müde-erstaunt. »Wo kommst denn du her? Aus Regensburg?« »Nein, aus Salzburg« antworte ich etwas schüchtern. Er weiß nichts mehr zu sagen, reicht mir den Ausweis zurück, »na, dann viel Spaß«, tritt etwas zögerlich und immer noch zweifelnd beiseite. Eigentlich ist es ihm egal. Ab Donnerstag kommen eben die Leute vom Dorf.
Das »Studio 15« ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Das Zentrum bildet die Tanzfläche und ein kleines Podium mit Platz für eine Combo. Ein schlichtes Lokal, das auch ein Café oder ein Restaurant sein könnte. Das einzig auffällige sind die großen Fenster zu einer um diese Zeit verwaisten Reitbahn, die höheren Söhnen und Töchtern tagsüber als Reitschule dient. Eine völlig andere Welt als im Hotclub. Die Atmosphäre solide. Man gibt sich weltmännisch. Ein Hauch von Understatement. Dichtes Gedränge auf der Tanzfläche. Selbstbewußtsein. Gepflegte Lässigkeit. Kaum jemand beachtet uns. Nur ein paar abschätzige Blicke. Herablassendes Schimpfen. »He, du! Kannst du nicht aufpassen?« als ich im
Gedränge einer jungen Dame im dunklen Kleid und mit zum Knoten aufgesteckten Haar wohl etwas zu nahe komme. »Diese Halbstarken!« Ich entschuldige mich höflich. Ansonsten sind wir einfach nicht vorhanden. Es stört mich hier nicht. Die Musik ist es, für die wir gekommen sind. Die wollen wir hören.
Bei Freddie Brocksieper ist immer die erste Reihe der internationalen Jazz-Musiker zu Gast, haben wir gehört. Nach ihren Auftritten in anderen Lokalen oder in Konzerten kommt so mancher der ganz Großen oft noch hierher, um bei Freddie und seiner Combo einzusteigen. Ella Fitzgerald war schon hier, ebenso wie Oscar Peterson und Nat »King« Cole.
Mir fällt sofort die elegant-konservative Kleidung der Band auf. Alle in schwarzen Smokings. Ich denke an meinen eigenen neuen mitternachtsblauen Einreiher. Bestimmt wird er der richtige für die Bühne sein …
Wir kämpfen uns bis an die Bar durch, stehen in der zweiten Reihe, dicht an die gerade neu entstehende Generation »jung, dynamisch, erfolgreich« gedrängt, die wir auch aus Salzburg schon kennen. Studenten, Jungunternehmer, ein paar Intellektuelle.
Klaus organisiert uns unsere Drinks. Die Band spielt »Georgia On My Mind«, einen bluesigen Jazz-Klassiker. Schön gespielt, aber unaufdringlich und niemals überschwenglich. Ein Sänger
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