Der Mann mit dem Fagott
hart in die Tasten. »Jetzt lasse ich es krachen!« Mit der richtigen Mischung aus Alkohol, der enthemmt, und der konzentrierten Anspannung, die nötig ist, um gut zu sein, improvisiere ich, drücke den Harmonien meinen Stempel auf, binde sie fest, lasse sie frei, die Töne fliegen, ich schwebe, treibe, fühle mich unbesiegbar, bin ganz bei mir selbst, verloren in mir wie selten in meinem Leben.
Ich füge einen Scat-Vocal-Teil ein, die Menschen umringen das Klavier. Niemanden hält es auf den Stühlen. Alles steht, lauscht, lebt in unserem Beat. »Vier - vier!« rufe ich Brocksieper zu. Jetzt habe ich den Mut, total die Initiative zu übernehmen. Der versteht sofort: Vier Takte Klaviersolo wechseln sich mit vier Takten Schlagzeugsolo ab. Das Publikum klatscht mit und bricht alle vier Takte in Jubel aus. Ich spüre die unbezwingbare Macht der Töne, die Kraft der Musik, die mich stark macht.
Ja, es war richtig, diesen Beruf zu ergreifen! Ja, ich werde die großen Bühnen erreichen, werde in Berlin singen! In Hamburg, in Wien, in Paris - überall, wo man Musik hört! Ich weiß es, fühle es mit jeder Faser meines Herzens und meines völlig verausgabten Körpers. Ich blicke in strahlende, bewegte Gesichter. Die Menschen haben sich verändert, haben ihre vornehme Steifheit verloren, sind erreichbar geworden. Offenheit in ihrem Blick.
»Ja, schau dir diesen dürren Salzburger an …«, scheint sich der Türsteher zu denken, der hereingekommen ist. Er reckt mir den nach oben gestreckten Daumen entgegen. Auch die junge Frau im dunklen Kleid, der ich beim Betreten des Lokals zu nahe gekommen war, sieht mich nun ganz anders an. Beinahe ein Lächeln.
Ja, Musik verändert die Welt! Ich kann es fühlen. »Zugabe, Zugabe, Zugabe«-Rufe. Zum ersten Mal in meinem Leben höre ich sie so entfesselt. An meinem 21. Geburtstag! Das Leben kann so schön sein!
Jemand reicht mir ein Taschentuch. Ich wische den Schweiß aus meinem Gesicht. Buddy und Klaus umarmen mich, heben mich hoch. Brocksieper kommt auf mich zu, reicht mir die Hand. Ich schlage ein. »Hast du nicht Lust, öfter bei uns einzusteigen?« - Meine Antwort ist eine Umarmung.
»Tango Nocturno«
Den Freitagnachmittagsverkehr haben wir unterschätzt. Viel später als erwartet kommen wir wieder in Salzburg an. Es wird knapp. Gleich müssen wir wieder ins »Esplanade«. Ich fühle mich stark wie selten, schwebe auf den Schwingen meines Erfolgs. Buddy und Klaus schwelgen mit. Keine Zeit, Bruno von unserem Abend zu erzählen. Geburtstagsumarmung.
Auf dem Bett einige Umschläge. Briefe. Geburtstagspost. Das kann ich jetzt nicht alles lesen. Morgen. In Ruhe. Kein Paket. Ich bin erstaunt, hatte mit ein bißchen Proviant aus Ottmanach, meiner Heimat, gerechnet, etwas von der herrlichen Leberwurst,
Speck, selbstgemachtem Schinken. Und natürlich mit meinen Wintersachen, vielleicht einem neuen Pullover.
Ich sehe mir die Kuverts genauer an. Groß und ausladend die charaktervolle Schrift meiner Mutter auf einem Umschlag. Innen nur ein paar Zeilen: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Wir haben eine Überraschung für Dich: Wir beide und Dein Bruder John sind in der Stadt. Wir wohnen im Hotel Mirabell und werden heute abend im ›Esplanade‹ sein, um mit Dir zu feiern. Wir freuen uns! Alles Liebe, Deine Eltern«.
Habe kaum Zeit, die Worte in mich aufzunehmen. Wo ist meine Bühnenhose? Streß. Gedränge am Waschbecken. Katzenwäsche. Man müßte mal wieder ins Hallenbad zum Duschen.
»Wir werden heute abend im ›Esplanade‹ sein, um mit Dir zu feiern«, klingt es in mir nach. Ich kann die energisch-fröhliche Stimme meiner Mutter bei jenen Worten förmlich hören, die Freude, mit der sie sich auf einen besonderen Abend vorbereitet. Meine Mutter liebt große Anlässe, Feiern, gesellschaftliches Leben. Das ist ihre Welt. Aber wie wird sie das »Esplanade« empfinden?
Ich bin hin- und hergerissen. Glücklich und besorgt gleichermaßen: Werden sie sich wohl fühlen? Was, vor allem, werden sie zu dem Teller sagen? Eine Schlappe, besonders in den Augen von Joe. Und werde ich überhaupt Zeit für sie haben?
Und was, wenn Patsy kommt? Ich will nicht, daß meine Eltern ein falsches Bild von mir und meinen Freunden bekommen, will nichts erklären müssen. Und eigentlich bin ich ja auch mit Gitta zusammen, Brigitta Köhler, einer ernsthaften jungen Schauspielerin, die am Stadttheater in Klagenfurt und nun auch bereits in Wien erfolgreich die großen Charakterrollen spielt: Von
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