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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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läßt. Ein einziges beleuchtetes Fenster in einer noch völlig im Dunkeln liegenden Gasse, der deutliche Schattenriß einer Silhouette: ein Mann in leicht vorgebeugter, ganz in sich selbst ruhender Haltung, auf dem Kopf ein zerknitterter Zylinder, ein Fagott in der Hand, und ganz leise, kaum hörbar, der vermißte Klang. Ein reglos-ungläubiger Augenblick nur, dann ist man vorbei. Das Rattern der Kutsche hallt von den Wänden der engen Straße wider. Hatten ihm seine Sinne gerade einen Streich gespielt? Es ist ihm völlig unbegreiflich, aber er ist sich sicher: Es war der Mann mit dem Fagott! Wie ein Zeichen, daß er auf dem richtigen Weg sei. Er lehnt sich lächelnd zurück.
    Auch der Bahnhof liegt still und einsam vor ihm. Niemand außer Heinrich scheint am ersten Weihnachtstag den Frühzug nach Berlin zu nehmen. Seltsame, fast unheimliche Stille. Nur ein Bettler liegt zusammengekauert in einer Ecke. Heinrich läßt ein paar Münzen in seinen alten, zerschlissenen Hut fallen.
    Der Bahnsteigschaffner wirft nur einen kurzen Blick auf seine Fahrkarte.
    »Moin, moin, junger Mann, wohin soll’s denn gehen?« Die Frage in fröhlich unnachahmlichem Plattdeutsch.
    »Nach Moskau«, erklärt Heinrich etwas verunsichert. Seine Fahrkarte reicht nur bis Berlin. Von dort aus muß er irgendwie nach Warschau kommen und dann weiter nach Moskau. Mindestens eine Woche lang wird er unterwegs sein. Vielleicht auch länger.
    »Moskau? Junge, Junge, da haben Sie ja etwas vor …«
    »Ja.«
    Der Schaffner mustert ihn genauer. »Sind Sie Heinrich Bockelmann?«
    Heinrich nickt verblüfft. »Ja, woher wissen Sie das?«
    Der Schaffner schmunzelt. »Eine junge Dame hat Sie mir beschrieben.
Sehr hübsch …«, erklärt er mit Kennerblick aus seinen fröhlich verschmitzten blauen Augen. »Sie hat das hier für Sie abgegeben.«
    Er reicht Heinrich ein kleines, liebevoll verziertes Päckchen, dazu einen Brief, auf dem er Katharinas Handschrift sofort erkennt.
    »Wann war das?«
    »Tja …« Er streicht sich mit der Hand über die grauen Bartstoppeln. »Vor etwa zehn Minuten.«
    Aber dann hätte Heinrich sie doch noch sehen müssen! Er blickt sich um, überlegt, ob er sie suchen soll. Vielleicht steht sie ja noch irgendwo und beobachtet ihn. Der Bahnsteig ist menschenleer.
    Aus der Ferne zwei weiße, sich unaufhaltsam nähernde Lichter, das Fauchen und Rauchen einer Lokomotive. Zischend und dampfend hält der Zug. »Bremen Hauptbahnhof!« Der Schaffner ruft es ins Leere. Niemand steigt an diesem Tag, zu dieser Stunde, in dieser Stadt aus. Heinrich zögert noch einen Augenblick, sieht sich noch einmal um. Niemand ist zu sehen. Sicher ist es besser so. Er nimmt seinen Koffer, hebt ihn über die hohen, engen Stufen, sucht einen Platz im leeren Zug, öffnet ein von Eisblumen bedecktes Fenster.
    Die Lokomotive pfeift und faucht.
    »Zurücktreten!« Der Ruf des Schaffners ist nur Routine, denn es ist niemand da, der ihm Folge leisten könnte.
    Den Ruck des Anfahrens spürt Heinrich bis tief in seine Seele.
    Es ist ihm, als spüre er ihren Blick, der ihm folgt, bis die roten Lichter des Zuges in der Ferne entschwunden sind, doch niemand ist da.
    In seiner Manteltasche ihr Päckchen. Behutsam öffnet er es. Ein kleiner, vertrauter Band mit Goethes »Römischen Elegien«, den Reise-Versen eines Suchenden, in dem sie immer wieder scheu errötend und doch die fast ungehörig sinnlichen Stellen nicht übergehend gemeinsam gelesen und die nicht erlebte Erotik sehnsuchtsvoll vorausgeahnt haben. Er schlägt es auf. Vorne, zierlich, ihre Widmung: »Mögest auch du in der Fremde das finden, was deine Seele sucht. Viel Glück, Katharina.« Er öffnet ihren Brief. Eine Zeile nur: »Do swidanja, auch wenn wir uns nicht wiedersehen, K.«

    Vorbeifliegende Landschaft im silbernen Licht des Morgens auf dem Weg in die Ungewißheit seiner Zukunft. Die schwere Leichtigkeit der Freiheit in Heinrichs Seele schwingt wie der rastlostraurige Klang eines einsamen Fagotts.

1. KAPITEL
    Salzburg, September 1955

Der Teller
    Kurz vor 4 Uhr morgens. Ich drücke eine Zigarette aus. Hastig geraucht in der kurzen Pause am Klavier zwischen zwei Songs. 28. September 1955. Übermorgen ist mein 21. Geburtstag. Ich werde volljährig.
    Müdigkeit und Aufgekratztheit sorgen für jene merkwürdige Stimmung, die mich Abend für Abend beherrscht. Entspannte Konzentration gepaart mit matter Routine. Ein Leben, das mir manchmal unwirklich erscheint und das doch die Realität in all ihrer Härte

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