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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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blüht und gedeiht.
    »Ist noch geöffnet?« fragen sie schon etwas angeheitert den Chef, der an einem Tisch seinen üblichen Wodka trinkt. Ich bin besorgt. Zahlungskräftige Kundschaft. Da wird er nicht nein sagen, und es wird wieder nichts aus unserem Feierabend.
    »Aber selbstverständlich, die Herrschaften«, ertönt es prompt aus seiner Ecke und an uns gewandt: »Na spielt’s halt noch a bissel.«
    Ich nehme einen Zug von meiner Zigarette, einen Schluck von meinem Wodka Tonic und setze mich wieder. Job ist Job.
    Das Ziehen in meinen Unterarmen, die Schmerzen in den Fingergelenken werden immer unangenehmer. Wir spielen immer drei Stücke, dann gebe ich mit dem Klavier ein musikalisches Pausenzeichen, damit sich die Tanzenden wieder setzen. »Sitzen und trinken«, rief manchmal der Chef, wenn er blau war, »Geschäft ist Geschäft!« Für die Musiker folgen zwei bis drei Minuten Pause, in denen sie sich ein wenig ausruhen, sich die Beine vertreten, ein bißchen frische Luft schnappen können. Ich am Klavier aber muß leise weiterspielen. Der Chef will es so. Es darf möglichst nicht still werden im Lokal, das wäre schlecht fürs Geschäft.

    Die Gesellschaft hat etwas zu feiern. Man gibt sich weltmännisch. »Champagner für alle! Und zwar vom feinsten! Und Musik! - Was ist denn das hier für ein müder Haufen!? Spielt’s amal an richtigen Boogie!« Und zu mir gewandt: »Hau in die Tasten, Burschi!«
    Du lieber Gott, das gibt meinen Armen den Rest! Und der größte Boogie-Woogie-Pianist war ich sowieso noch nie. Keine Zeit, darüber nachzudenken. Der Chef unterstützt sofort den Kommandoton:
    »Was is, Burschen?! Hört’s ihr schlecht? Wugie, Wugie für den gnädigen Herrn!« Und zum Kellner: »Champagner, aber flott!« Und wir spielen und spielen, und meine Arme werden schwerer und schwerer, und dann bricht auch noch Schlagerseligkeit aus, und alles tanzt, und Patsy wittert ihre Chance und tändelt mit einem potentiellen Freier, und in mir verschwimmt die Musik, die so gar nicht meine ist, zu etwas ganz und gar Fremdem, fast Mechanischem.
    Da ist kein Platz für mich, denke ich. In Amerika müßte man sein. Dort wird etwas bewegt. Da kommt die Musik her, für die ich lebe, dort könnte ich spielen wie ich fühle, leben in Musik, die mich voranbringt, die mich trägt, leben am Puls neuer Töne. Oder in Berlin … Der Stadt, die gerade wieder zu atmen beginnt, die nach Lebendigkeit klingt, nach Neuem, jedenfalls im Radio, dem von uns ständig gehörten Sender RIAS Berlin, dem Orchester Werner Müller. Da gibt es Spannung, Kultur, Aufbruch - das wär’s. Das wäre etwas anderes als Salzburg, etwas anderes als das Esplanade, etwas, das ich vorweisen könnte, auch meinen Eltern gegenüber. Darauf könnten sie stolz sein.
    »Hauptsache, du verdienst dein Geld auf ehrliche Weise, Junge«, haben sie immer wieder gesagt, wenn wir über mein Leben gesprochen haben, meinen Berufswunsch, Musiker zu sein. Nie haben sie die Nase gerümpft, weil ich es bisher nur zum Barpianisten in Salzburg gebracht habe. Aber glücklich sind sie darüber bestimmt nicht. Vielleicht sogar heimlich enttäuscht.
    Ewig begabt zu sein, davor habe ich Angst, begabt zu sein aber nicht begabt genug. Das geht vielleicht mit zwanzig, aber wie lange werde ich diesen »Jugendbonus« noch haben? - Volljährig, da sollte man schon ein bißchen vorangekommen sein, denke ich
nicht ohne Bitterkeit. Immerhin ist es schon vier Jahre her, seit ich mit dem Segen meiner Eltern die Schule und mein Zuhause für die Musik verlassen habe. Das Herz voller Ideale. Vier Jahre, und immer noch nicht wirklich weiter. Das beschämt. Noch habe ich im Leben nichts bewiesen …
    Mein älterer Bruder John, von uns Joe genannt, der macht seinen Weg, um ihn braucht niemand sich Sorgen zu machen. Auf ihn kann man stolz sein, ihn kann man vorzeigen. Aber mich? Man hält zu mir, aber uneingeschränkt stolz ist man auf mich wohl kaum. Ja, Berlin, das wäre schon etwas anderes …
    »There Will Never Be Another You« bringt mich kurzzeitig auf andere Gedanken. Doch die Gesellschaft fordert »Die Beine von Dolores«, einen neuen Schlager, der gerade ein Riesenerfolg geworden ist. Man muß einfach auf dem laufenden sein. Wer zahlt, befiehlt.
    »Ein bißchen wie eine lebende Music Box«, denke ich und schmalze das schönste »Dolores«, dessen ich nach mehr als neun Stunden Singen und Spielen noch fähig bin. Alles nicht so ernst nehmen, mich treiben lassen, die Feste feiern, wie sie

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