Der Mann mit den hundert Namen
Licht drang dennoch durch die dünne Haut. Eine Hand packte ihn grob im Gesicht und schob mit Gewalt das Augenlid hoch. Wieder traf der grelle Strahl das Auge, das heiß wurde und anzuschwellen begann. Buchanan mußte seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um sich nicht aus dem Griff zu befreien. Denn er war sicher, daß Fernandez I ihm beim nächsten Versuch einer Gegenwehr das Gehirn herauspusten würde.
»Bueno«, wiederholte Fernandez I. »Wenn dir dein Leben lieb ist, dann verrate uns, was die vielen Namen gemeinsam haben, die mein Bruder dir eben vorgelesen hat. Überlege gut, bevor du antwortest.« Er drückte die Pistole noch fester gegen Buchanans Schläfe. »Die Namen. Wer verbirgt sich dahinter?«
Buchanan schluckte. »Es waren meine Namen«, antwortete er mit heiserer Stimme.
10
Die Zwillinge und der Leibwächter waren zunächst wie erstarrt. Plötzlich kam Bewegung in sie. Der erste zog die Pistole zurück, der zweite ließ Buchanans Augenlid los und knipste die Stablampe aus, und der Gorilla gab Buchanans Kopf frei.
Fernandez I musterte Buchanans Gesicht. »Die Wahrheit habe ich nicht erwartet.« Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und legte die Browning auf den Tisch, die Hand auf der Waffe und die Mündung auf Buchanan gerichtet. »Ich habe dich schon mal gefragt, und ich frage wieder: Wer bist du?«
»Ed Potter.« Buchanan schloß das rechte Auge und massierte das noch immer geblendete Lid.
»Und nicht John Block oder Richard Davis? Oder Paul Higgins?« fragte Fernandez I.
»Oder Jim Crawford?« bohrte der Bruder.
»Von Jim Crawford habe ich nie gehört. Ich weiß zum Teufel nicht, was der Besoffene im Restaurant meinte. Aber was John Block und die anderen Namen betrifft, das sind … Wie habt ihr meine Decknamen rausgekriegt?«
»Du hast keine Fragen zu stellen.« Fernandez I klopfte mit dem Lauf seiner Pistole auf den Tisch. »Warum hast du dir die Namen zugelegt?«
»Ich bin doch nicht blöde«, antwortete Buchanan. »Glaubt ihr, ich komme nach Mexiko, fange an, Drogen nach dem Norden und Waffen nach dem Süden zu schmuggeln – und alles unter meinem richtigen Namen? Hier in Mexiko, wo ein yanquí auffällt, hatte ich allen Grund, unter falschem Namen zu reisen.«
Fernandez I ließ wie zur Warnung die Lampe aufblitzen. » Ein Tarnname ist erklärlich.«
»Aber so viele?« Der Bruder klopfte weiter mit der Pistole auf den Tisch.
»Hört mal, ich habe doch gesagt, ich habe nicht nur in Cancún Geschäfte«, antwortete Buchanan. »Ich habe mich in Merida, Acapulco, Puerto Vallarta und anderen Urlaubsorten etabliert, die ich nicht erwähnt habe.«
»Kommt noch«, sagte Fernandez II, »kommt noch.« Seine Stimme bebte vor Erregung. »Antworte!« schnauzte er.
»Überall, wo ich im Geschäft bin, brauche ich Händler, und wo ich mich aufhalte, brauche ich eine Geschichte zur Tarnung, die meine Anwesenheit erklärt. In mexikanischen Ferienorten trifft man am häufigsten auf amerikanische Geschäftsleute, die Ferienwohnungen verhökern. Wenn es um Immobilien geht, haben amerikanische Touristen nun mal kein Vertrauen zu mexikanischen Maklern. Auf einen Amerikaner verlassen sie sich. Überall, wo ich zu tun habe, habe ich unter falschem Namen die Behörden davon überzeugt, daß ich ein gesetzestreuer Bürger bin. In jeder Stadt benutze ich einen anderen Namen und habe die entsprechenden gefälschten Dokumente, versteht sich.«
Fernandez I beugte sich nach vorn, die Hand an der Pistole.
»Weiter.«
»Jeder der Männer, in deren Haut ich schlüpfe, bevorzugt einen eigenen Stil in der Kleidung, er hat eine Vorliebe für gewisse Speisen und besitzt individuelle Angewohnheiten. Der eine hat zum Beispiel eine schlechte Haltung. Der andere pflegt stockgerade wie ein ehemaliger Soldat dazustehen. Der dritte stottert leicht. Jeder hat etwas Auffallendes an sich. Wenn also die Polizei nach einem Mann mit einem bestimmten Namen und bestimmten Eigenarten forscht, dann wird es schwierig sein, ihn ausfindig zu machen, denn die Eigenarten sind so falsch wie der Name. In den Augen der Mexikaner ähneln sich die meisten Amerikaner. Wir sind dick, wir sind ungeschickt, laut, vulgär, haben viel Geld, gehen aber nicht gerade großzügig damit um. Wenn also meine Leute mich und meine speziellen Eigenheiten beschreiben müssen, brauche ich mir bloß ein paar andere anzugewöhnen und werde damit unsichtbar.«
Buchanan beobachtete die Zwillinge, um herauszufinden, ob sie ihm seine Erklärungen
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