Der Mann mit den hundert Namen
Luft und durchschlug die Palmwedel des Daches. Er spürte, daß der Gorilla und Fernandez II sich auf ihn werfen wollten, aber nun gelang es ihm mit einem Mal, den rechten Daumen seines Gegners zu packen, zu drehen und nach hinten zu reißen.
Der Daumen brach am ersten Gelenk mit einem leisen knorpeligen Geräusch, das eher einem Knirschen als einem Knacken ähnlich war. Der Verletzte schrie auf und ließ automatisch die Pistole los. Sofort entriß ihm Buchanan die Waffe und warf sich zur Seite. Der Leibwächter schoß. Buchanan kullerte weiter, die Kugel schlug neben ihm ein, und nun feuerte er viermal in rascher Folge. Der Gorilla fiel getroffen hintenüber.
Blitzartig drehte sich Buchanan um, feuerte zweimal nach links und erwischte Fernandez II zwischen Magen und Brust. Das Blut schoß aus dem offenen Seidenhemd hervor, der Getroffene krümmte sich und brach zusammen.
Der Gorilla war noch nicht erledigt. Buchanan vermutete, daß er eine kugelsichere Weste trug. Er schickte sich gerade an, noch einmal zu feuern, da schoß Buchanan ihm in die Stirn. Rechts neben ihm suchte Fernandez I fluchend nach seiner Waffe. Buchanan schoß ihn in die linke Schläfe, der Gangster zuckte und starb.
Buchanan atmete tief durch und zitterte, von Adrenalin überflutet. Durch jahrelange Gewohnheit hatte er im stillen jeden seiner abgegebenen Schüsse mitgezählt. Vier auf den Leibwächter, zwei auf Fernandez II, dann drei weitere auf den Wächter und schließlich einen auf Fernandez I, der zuvor selber zweimal geschossen hatte. Das waren insgesamt zwölf. Buchanan hatte die Munition sorglos verschossen, denn er wußte, daß die Browning dreizehn Schuß im Magazin und einen in der Kammer hatte. Unter normalen Umständen hätte er nicht so viele Kugeln benötigt, in der Dunkelheit jedoch war genaues Zielen unmöglich. Falls die Schießerei die anderen Gorillas des Gangsterpärchens herbeirief, würden die verbleibenden zwei Kugeln nicht ausreichen. Rasch duckte er sich hinter den Tisch. Eine aufgeschreckte, lärmende Menge hatte sich auf dem Gehweg versammelt, einige Männer deuteten dorthin, wo Buchanan sich verbarg. In aller Eile vergewisserte er sich, daß der Leibwächter und Fernandez I tot waren. Er durchsuchte die Kleider des Gangsters und nahm sein Eigentum – Gürtel, Schlüssel und Kugelschreiber – an sich. Nichts auf dem Schauplatz des Kampfes durfte auf ihn deuten. Aus der Jacke des ebenfalls regungslosen Fernandez II fischte er die Liste heraus, die seine Pseudonyme enthielt. Die andere Liste mit den Namen der betrügerischen Helfershelfer ließ er zurück. Die Behörden würden diese Namen überprüfen und sie mit dem Tod der drei Männer in Zusammenhang bringen.
Zumindest hoffte Buchanan das. Er wollte seinen Auftrag in Cancún wenigstens teilweise erfüllen und dem Drogenhändlerring so viel wie möglich schaden. Wenn bloß der Einsatz nicht schiefgegangen wäre, wenn bloß dieser Hornochse von Bailey …
Buchanan erstarrte.
»Crawford?« Big Bob Baileys Stimme klang merkwürdig gedämpft.
Da erinnerte sich Buchanan, daß Bailey kurz vor der Schießerei auf seinen Tisch zugesteuert war. Als die Kugeln pfiffen, mußte er sich auf den Strand geworfen haben. Seine Stimme klang so dumpf, weil er auf dem Bauch lag, das Gesicht im Sand.
»Herrgott, Mann, sind Sie okay?« murmelte Bailey. »Wer ballert denn hier so rum?«
Jetzt entdeckte Buchanan die dunkle Gestalt, die sich platt auf den Boden preßte. Er warf einen Blick auf die Menge an der Bar; sie war größer geworden und lauter, doch noch immer wagte es niemand, sich dem Ort zu nähern, wo die Schüsse gefallen waren. Andere Leibwächter der Fernandez-Brüder oder Polizisten, die ihn verfolgen könnten, entdeckte er nicht. Ich muß hier weg, dachte er.
Die Schmerzen in seiner Schulter wurden stärker. Die Wunde schwoll an und pochte heftiger. Gerade als er sich Fernandez I noch einmal zuwandte, um dem Toten seine Waffe in die Hand zu legen, vernahm er Baileys Stimme, die jetzt kräftiger klang.
»Crawford? Sind Sie verletzt?«
Halt’s Maul, dachte Buchanan.
Die Menge in der Nähe der Bar wurde unruhig. Der Lichtschein des Hotels reichte aus, um zwei Polizisten in Uniform zu erkennen, die auf den Strand zu rannten. Buchanan machte kehrt, lief geduckt an der Brandungslinie entlang und gab sich Mühe, daß die blutende rechte Schulter möglichst von den aufspritzenden Wellen getroffen wurde. Das Blut sollte abgespült werden, damit die Polizei den Spuren
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