Der Mann mit den hundert Namen
mich freizubekommen.«
Buchanan warf einen Blick zur Tür.
»Woodfield kommt gleich zurück. Warum tun Sie uns beiden nicht den Gefallen, nehmen das Geld und lassen mich frei?«
Der Dicke trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch.
»Ich schwöre Ihnen: Ich habe niemanden getötet«, half ihm Buchanan beim Überlegen.
Mit Bedacht öffnete der zurückkehrende Woodfield die Tür. ganz langsam und ließ dem Vernehmer Zeit, die Banknotenbündel in seiner Schublade verschwinden zu lassen. Erst dann trat er ein.
»Es würde in der Tat aller Gerechtigkeit hohnsprechen, wenn wir den Fall weiterverfolgen würden«, sagte der dicke Beamte. »Señor Grant, Sie erhalten Ihren Paß und Ihr Eigentum zurück. Sie sind frei.«
8
»Man sieht, daß Sie einen Arzt brauchen«, sagte Woodfield.
Sie verließen das Gefängnis und überquerten eine staubige Straße. Unter einer Palme war eine schwarze Limousine geparkt.
»Ich kenne in Merida einen ausgezeichneten Arzt«, fuhr Woodfield fort. »Ich bringe Sie gleich hin.«
»Nein.«
»Aber hören Sie …«
»Nein«, wiederholte Buchanan. Nach dem langen Aufenthalt im Gefängnis blendete ihn die grelle Sonne, was die Kopfschmerzen verschlimmerte. »Ich will unbedingt raus aus Mexiko.«
»Je länger Sie den Arztbesuch hinausschieben …«
An der Limousine angekommen, wandte sich Buchanan um. Er wußte nicht, wie gut der Diplomat Bescheid wußte. Wahrscheinlich gar nicht.
»Ich gehe zum Arzt, sobald ich mich sicher fühle. Ich kann noch immer nicht glauben, daß ich frei bin. Ich glaube es erst richtig, wenn ich im Flugzeug nach Miami sitze. Dieser Trottel könnte es sich anders überlegen und mich wieder einsperren.«
Woodfield legte Buchanans Koffer in den Kofferraum. »Diese Gefahr besteht doch wohl nicht.«
»Trotzdem. Am besten bringen Sie mich zum Flughafen.«
»Sind Sie sicher, daß Sie den Flug durchhalten?«
»Das muß ich.« Buchanan befürchtete, daß die Polizei in Cancún seine frühere Identität überprüfte. Er mußte Mexiko schleunigst verlassen.
»Ich rufe den Flughafen an und versuche, für die nächste Maschine einen Platz zu buchen.«
»Danke.« Mechanisch überblickte Buchanan die Straße, die Fußgänger, den Verkehr. Er erstarrte, als er in einiger Entfernung im Gedränge auf dem Bürgersteig eine Frau bemerkte, die gerade fotografierte. Offenbar eine Amerikanerin: Ende Zwanzig, rothaarig, gute Figur. Sie trug eine beigefarbene Hose und eine gelbe Bluse. Buchanan fiel sie jedoch nicht wegen ihrer Nationalität oder ihrer Haarfarbe oder ihres Aussehens auf.
»Einen Augenblick«, sagte er zu Woodfield und ging schnell auf die Frau zu. Kaum sah sie ihn näherkommen, nahm sie die Kamera vom Gesicht, machte kehrt und verschwand um die Ecke. Die unerträgliche Hitze schwächte Buchanan. Schwankend blieb er stehen.
»Was ist los?« fragte Woodfield.
Buchanan schüttelte den Kopf.
»Ich dachte eben, Sie wollten abhauen.«
Buchanan blickte noch einmal zur Ecke und öffnete die Wagentür. »Ja, mit Ihnen. Schnell. Zu einem Telefon. Buchen Sie für mich Miami.«
Auf der ganzen Strecke zum Flughafen grübelte Buchanan über die rothaarige Dame nach. Warum hatte sie ihn fotografiert? War sie einfach eine Touristin und er zufällig im Schußfeld vor einem malerischen Gebäude? Vielleicht. Wenn ja, warum war sie davongelaufen, als er auf sie zusteuerte? Zufall?
Wenn Sie keine Touristin war, was war sie dann? Ihm blieb nur ein Trost. Als sie die Kamera herunternahm, hatte er sich ihr Gesicht eingeprägt.
Und daran würde er sich immer erinnern.
9
Acapulco, Mexiko
Unter den zahlreichen Jachten in der berühmten Bucht des Ferienorts war es eine besonders große, die Esteban Delgados Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Ihr leuchtendes Weiß hob sich eindrucksvoll vom schimmernden Blaugrün des Pazifiks ab. Sie war schätzungsweise sechzig Meter lang und hatte drei Decks; auf dem obersten war ein Helikopter festgezurrt. Das Schiff kam Delgado unheimlich bekannt vor. Er hätte schwören können, daß diese Jacht mit der seiner schlaflosen Nächte identisch war, mit dem Schiff seines Feindes, das in seinen Alpträumen eine so große Rolle spielte. Es war unwichtig, daß sie unterschiedliche Namen trugen. Delgado hatte in seinem Verfolgungswahn schon das Stadium erreicht, wo er den Verdacht hegte, der Name sei verändert worden, um ihm Angst einzujagen. Sein Assistent hingegen hatte nicht oft genug beteuern können, daß die »Poseidon« seit dem
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