Der Mann mit den hundert Namen
Nachmittag mit Delgados Feind an Bord von den Jungferninseln weg mit Kurs auf Miami segelte.
Trotzdem konnte er, am Panoramafenster seiner Villa stehend, sich nicht beruhigen. Er achtete nicht auf die Musik, das Lachen und den Partytrubel unten am Pool. Er achtete nicht auf die vielen schönen Frauen. Sein Blick war einzig auf die Jacht gerichtet, die jener anderen glich; nur sie beschäftigte ihn – und das Geheimnis von der Macht seines Feindes über ihn.
Was ihn schließlich ablenkte, war eine dunkle, im Sonnenlicht glänzende Limousine. Sie erschien auf der ansteigenden Straße und passierte nun das Tor und die Wachtposten. Ihm war trotz der leistungsfähigen Klimaanlage heiß. In letzter Zeit waren ihm leise, besorgte Bemerkungen über sein Aussehen zu Ohren gekommen, über den Gewichtsverlust während der vergangenen Monate, den lockeren Sitz seiner maßgeschneiderten Anzüge. Seine Mitarbeiter hegten den Verdacht, daß der Gewichtsverlust auf eine Krankheit – Gerüchte sprachen von Aids – zurückzuführen sei, aber das traf nicht zu.
Schuld waren die Qualen der Ungewißheit.
Ein Klopfen an der Tür störte ihn auf und riß ihn in die Gegenwart zurück. »Was gibt es?«
»Ihr Gast ist eingetroffen, Señor Delgado«, antwortete die heisere Stimme des Leibwächters vor der Tür.
Delgado wischte sich die klebrigen Hände an einem Tuch der Hausbar ab und wappnete sich mit der offiziösen Miene des zweitmächtigsten Mannes der mexikanischen Regierung. »Führen Sie ihn herein.«
Die Tür öffnete sich, und der finstere Leibwächter ließ einen etwas kurz geratenen Herrn mit beginnender Glatze eintreten. Er war nicht ganz fünfzig Jahre alt und trug einen bescheidenen, ungebügelten Straßenanzug. Er hatte eine abgenutzte Aktentasche bei sich, rückte seine Brille zurecht und wirkte, nachdem die Tür wieder geschlossen war, noch unsicherer.
»Professor Guerrero, ich bin sehr erfreut, daß Sie kommen konnten.« Delgado durchquerte den Raum und schüttelte ihm die Hand. »Willkommen. Wie war der Flug von der Hauptstadt?«
»Gott sei Dank ohne Zwischenfälle.« Der Professor wischte sich die nasse Stirn mit einem Taschentuch. »Ich fühle mich in der Luft nie wohl.«
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Vielen Dank, Señor, lieber nicht. Ich bin es nicht gewohnt, so früh am Nachmittag zu trinken.«
»Unsinn. Was möchten Sie gern? Tequila? Rum? Ich habe ausgezeichneten Rum.«
Professor Guerrero ließ sich von der Macht des Mannes, der ihn herbestellt hatte, überreden. Delgados offizieller Titel lautete Innenminister, doch dieser einflußreiche Posten im Kabinett des Präsidenten sagte nichts über den noch größeren Einfluß aus, den er als engster Freund und Berater des Staatsoberhaupts besaß. Delgado war sein Wahlmanager gewesen, und es galt allgemein als sicher, daß der Präsident Delgado zu seinem Nachfolger bestimmt hatte.
Delgado wußte, daß ihm all das und die hohen, mit dem Amt des Präsidenten verbundenen Bestechungs- und Schmiergelder entgehen würden, wenn er nicht tat, was ihm befohlen wurde. Denn in dem Fall würde der Erpresser Delgados Geheimnis preisgeben und ihn ans Messer liefern. Das mußte um jeden Preis verhindert werden.
»Gut«, sagte Professor Guerrero, »wenn Sie darauf bestehen. Rum mit Cola.«
»Ich glaube, da schließe ich mich Ihnen an.« Als er die Drinks mixte und sich dabei wie ein Mann des Volkes aufführte, der keinen Diener braucht, deutete er mit dem Kopf auf die lärmende Party am Pool. »Später können wir uns der Gesellschaft anschließen. Sie haben doch bestimmt nichts dagegen, den Straßenanzug gegen eine Badehose zu vertauschen – und ein paar schöne Frauen kennenzulernen?«
Professor Guerrero blickte unbehaglich auf seinen Ehering. »Eigentlich habe ich nicht viel für Partys übrig.«
»Sie müssen ausspannen.« Delgado stellte die beschlagenen Gläser auf ein Glastischchen und bot Guerrero einen Plüschsessel an. »Sie arbeiten zuviel.«
Der Professor setzte sich steif. »Leider reichen unsere Mittel nicht aus, um mehr Leute zu beschäftigen und meine Aufgaben zu reduzieren.« Er brauchte nicht zu erklären, daß er Direktor des mexikanischen Nationalinstituts für Archäologie und Geschichte war.
»Vielleicht können wir zusätzliche Mittel lockermachen. Sie haben ja Ihren Drink noch nicht berührt.«
Zögernd nahm Guerrero einen Schluck.
»Salud.« Delgado trank ebenfalls und machte dabei ein ernstes Gesicht. »Ihr Brief hat
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