Der Mann mit der Ledertasche.
Schmerzensgeld verklagt.«
»Genau richtig!«
»Na gut. Vielen Dank, Parker.«
»Stets zu Diensten.«
Wenn er diese Geschichte erfunden hatte, war sie beinahe $ 624 wert. Ich hatte wesentlich schwächere im PLAYBOY gelesen.
5
Ich stellte fest, daß ich gegen die Schwindelanfälle nur ankämpfen konnte, wenn ich immer mal wieder aufstand und mir die Beine vertrat. Fazzio, einer der Aufseher, sah, wie ich zu einem der wenigen Trinkbrunnen ging.
»Sagen Sie mal, Chinaski, immer wenn ich Sie sehe, gehen
Sie gerade spazieren!«
»Na und«, sagte ich, »immer wenn ich Sie sehe, gehen Sie
gerade spazieren.«
»Bei mir gehört es zur Arbeit. Herumzugehen ist Teil
meiner Arbeit. Ich muß es tun.«
»Hören Sie«, sagte ich, »bei mir gehört es auch zur Arbeit.
Ich muß es tun. Wenn ich zu lange auf dem Hocker sitzen
bleibe, springe ich plötzlich auf die Verteilerkästen und
renne herum und pfeife Kinderlieder aus allen Löchern.« »Schon gut, Chinaski, vergessen wir's.«
6
Eines Nachts kam ich um die Ecke, nachdem ich mich in die Kantine geschlichen hatte, um eine Packung Zigaretten zu besorgen. Und da war ein Gesicht, das ich kannte.
Es war Tom Moto! Der Kerl, mit dem ich zusammen unter Stone als Aushilfe gearbeitet hatte!
»Moto, alter Arschficker!« sagte ich.
»Hank!« sagte er.
Wir gaben uns die Hand.
»Heh, ich hab neulich an dich gedacht! Jonstone tritt die- sen Monat in den Ruhestand. Einige von uns geben ihm eine Abschiedsparty. Du weißt doch, er hat immer gern geangelt. Wir fahren in einem Ruderboot mit ihm hinaus. Vielleicht würdest du gerne mitkommen und ihn über Bord werfen, ihn ersäufen. Wir haben einen hübschen tiefen See.«
»Ach nein, Scheiße, ich will ihn nicht mal mehr ansehen.«
»Du bist aber eingeladen.«
Moto grinste vom Arschloch bis zu den Augenbrauen. Dann fiel mein Blick auf sein Hemd: das Abzeichen eines Aufsehers.
»Das darf nicht wahr sein, Tom«, sagte ich.
»Hank, ich hab vier Kinder. Die wollen essen.«
»Sicher, Tom«, sagte ich.
Dann ging ich weg.
7
Ich weiß nicht, wie die Leute da reinschlittern. Ich mußte für den Unterhalt eines Kindes aufkommen, brauchte Geld fürs Trinken, für die Miete, Schuhe, Hemden, Socken und all das Zeug. Wie alle anderen Leute brauchte ich ein altes Auto, etwas zu essen, all die kleinen Dinge.
Wie Frauen.
Oder einen Tag auf der Rennbahn.
Wenn alles auf dem Spiel steht und es keinen Ausweg
gibt, denkt man überhaupt nicht darüber nach.
Ich parkte gegenüber vom Haus der Bundesvertretung und stand da und wartete darauf, daß die Verkehrsampel grün wurde. Ich überquerte die Straße. Stieß die Schwingtür auf. Es war, als sei ich ein von einem Magneten angezogenes Stück Eisen. Ich konnte nicht dagegen angehen.
Es war im ersten Geschoß. Ich machte die Tür auf, und da waren sie. Die Angestellten des Hauses. Ich sah ein Mäd- chen, armes Ding, einarmig. Sie würde ewig hier sein. Es war nicht anders, als so ein alter Trinker zu sein wie ich. Nun, wie die Jungs sagten: man mußte schließlich irgendwo arbeiten. Und so akzeptierten sie, was sie hatten. Das war die Weisheit der Sklaven.
Ein junges schwarzes Mädchen kam auf mich zu. Sie war gut angezogen und fühlte sich offensichtlich wohl in ihrer Umgebung. Ich freute mich für sie. Ich wäre bei derselben Arbeit verrückt geworden.
»Ja?« fragte sie.
»Ich bin Postangestellter«, sagte ich, »ich möchte kün- digen.«
Sie griff unter den Tisch und holte einen Stapel Papiere hervor.
»Die alle?«
Sie lächelte: »Werden Sie's allein schaffen?«
»Keine Sorge«, sagte ich, »das schaff ich schon.«
8
Man mußte mehr Formulare ausfüllen, wenn man auf- hörte, als wenn man anfing.
Die erste Seite, die sie einem gaben, war ein persönlich gehaltenes vervielfältigtes Schreiben vom Leiter der städti- schen Postverwaltung.
Es begann so:
Ich bedaure, daß Sie Ihre Stelle bei der Post aufgeben, usw., usw., usw., usw.«
Wie konnte er es bedauern? Er kannte mich nicht mal.
Dann kam eine Reihe von Fragen.
»Fanden Sie unsere Aufseher verständnisvoll? Konnten Sie eine Beziehung zu ihnen herstellen?«
Ja, antwortete ich.
»Begegneten Sie bei den Aufsehern irgendwelchen Vor- urteilen, die mit Rasse, Religion, persönlicher Vergangen- heit oder ähnlichen Dingen zu tun hatten?«
Nein, antwortete ich.
Und dann eine: »Würden Sie Ihren Freunden raten, sich bei der Post um eine Stelle zu bewerben?«
Selbstverständlich, antwortete ich.
»Wenn Sie irgendwelche Beschwerden oder Klagen über das
Weitere Kostenlose Bücher