Der Mann mit der Ledertasche.
Postamt haben, führen Sie sie bitte einzeln auf der Rückseite dieses Formulars auf.«
Keine Beschwerden, antwortete ich.
Dann war mein schwarzes Mädchen wieder da.
»Schon fertig?«
»Fertig.«
»Ich habe noch nie erlebt, daß einer so bald damit fertig war.«
»Schnell«, sagte ich.
»Schnell?« fragte sie. »Was meinen Sie?«
»Ich meine, was machen wir jetzt?«
»Kommen Sie mit.«
Ich folgte ihrem Arsch zwischen den Schreibtischen durch bis fast ganz nach hinten.
»Nehmen Sie Platz«, sagte der Mann.
Er ließ sich beim Lesen der Papiere Zeit. Dann sah er mich an.
»Darf ich Sie fragen, weshalb Sie kündigen? Ist es wegen der disziplinarischen Maßnahmen gegen Sie?«
»Nein.«
»Was ist dann der Grund Ihrer Kündigung.«
»Eine Karriere wartet auf mich.«
»Karriere?«
Er blickte mich an. Es waren keine 8 Monate mehr bis zu meinem 50. Geburtstag. Ich wußte, was er dachte.
»Darf ich fragen, was das für eine Karriere sein wird?«
»Das kann ich Ihnen genau sagen. Die Saison für Fallen- steller im Mississippi-Delta geht nur von Dezember bis Februar. Ich habe bereits einen Monat verloren.«
»Einen Monat? Sie sind doch seit elf Jahren hier.«
»Na gut, dann hab ich eben elf Jahre vergeudet. Ich kann 10 bis 20 Mille machen, wenn ich dort unten drei Monate lang Fallen stelle.«
»Was tun Sie da denn?«
»Fallen stellen ! Bisam, Nutria, Nerz, Otter... Waschbär. Ich brauche dazu nur eine Piroge. 20 Prozent meiner Ein- nahmen bezahle ich für das Nutzungsrecht. Für einen Bisampelz bekomme ich $ 1,25, $ 3 für einen Nerz, $ 4 für einen jungen Nerz, $ 1,50 für einen Nutria und $ 25 für einen Otter. Den Bisam-Kadaver, der etwa 30 cm lang ist, ver- kaufe ich für 5 Cents an eine Fabrik, die Katzennahrung herstellt. Für den Kadaver des Nutria bekomme ich 25 Cents. Ich halte mir Schweine, Hühner und Enten. Ich angle Katzenfische. Es ist überhaupt nicht schwierig. Ich -«
»Schon gut, Mr. Chinaski, das genügt.«
Er spannte Papier in seine Schreibmaschine ein und fing an zu tippen.
Dann blickte ich auf, und da stand Parker Anderson, mein Gewerkschaftsvertreter, der gute alte Tankstellen- rasierer und -scheißer Parker, und lächelte mir zu wie ein Politiker auf Stimmenfang.
»Hörst du auf, Hank? Ich weiß, du drohst seit elf Jahren damit...«
»Mhm, ich geh nach Louisiana, Geld scheffeln.«
»Gibt's denn dort 'ne Pferderennbahn?«
»Soll das ein Witz sein? Die Fair Grounds ist eine der ältesten Rennbahnen des Landes!«
Parker hatte ein junges weißes Bürschchen dabei - einen aus der neurotischen Sippe der Verlorenen - und die Augen des Jungen waren mit einer feuchten Tränenschicht überzogen. Eine große Träne in jedem Auge. Sie fielen nicht heraus. Es war faszinierend. Ich hatte Frauen dasitzen und mich mit eben diesen Augen anschauen sehen, kurz bevor sie wütend wurden und anfingen zu kreischen, was für ein Scheißkerl ich doch sei. Offenbar war der Junge in eine der vielen Fallen gegangen und zu Parker gelaufen. Parker würde seinen Job für ihn retten.
Der Mann gab mir noch ein Papier zu unterschreiben, und dann machte ich mich davon.
Parker sagte: »Viel Glück, altes Haus«, während ich an ihm vorbeiging. »Danke, Baby«, antwortete ich.
Ich fühlte mich nicht irgendwie anders. Doch ich wußte, daß ich bald — so wie ein Mann, der aus den Tiefen des Ozeans zu schnell hochgezogen wird — einen Druckausgleich ganz besonderer Art durchmachen würde. Ich war wie einer von Joyces verdammten Wellensittichen. Nach einem Leben im Käfig war ich durch die offene Tür gegangen und davon- geflogen — wie ein Pfeil Richtung Himmel. Himmel?
9
Ich fing so richtig an zu saufen. Ich kam aus dem Saufen gar nicht mehr raus und war meistens besoffen wie ein Stinktier im Fegefeuer. Eines Nachts hatte ich sogar bereits das Metzgermesser am Hals, und dann dachte ich, Moment mal, alter Junge, vielleicht möchte dein kleines Mädchen, daß du mit ihr in den Zoo gehst. Eisstände, Schimpansen, Tiger, grüne und rote Vögel und die Sonne, die auf ihren Kopf schien und in die Haare auf deinen Armen kroch, laß das mal, alter Junge.
Als ich zu mir kam, war ich im Wohnzimmer, spuckte auf den Teppich, drückte Zigaretten auf dem Handgelenk aus, lachte. Ganz und gar verrückt. Ich blickte auf, und da saß dieser junge Medizinstudent. Zwischen uns auf dem Couch- tisch stand ein leeres Marmeladenglas, und darin war das Herz eines Menschen. Auf dem Glas war ein Etikett mit dem Namen des ehemaligen Besitzers des Herzens, Francis,
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