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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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zurückgestrebt hatte, weil Arnheim diesmal wirklich seinen Soliman nach sich gezogen hatte. Da das Wetter sich verschlechterte, war der kleine Mohr seinem Herrn mit einem Mantel gefolgt. Er hatte eine freche kleine Schnauze gemacht, als ihm Rachel öffnete, denn er war ein verdorbener junger Berliner, den die Frauen in einer Weise verwöhnten, mit der er noch nicht das Rechte anzufangen wußte. Aber Rachel hatte gedacht, daß man mit ihm in der Mohrensprache reden müsse, und war einfach nicht auf den Einfall gekommen, es deutsch zu versuchen; sie hatte, da sie sich unbedingt verständigen mußte, rundweg den Arm um die Schulter des sechzehnjährigen Jungen gelegt, auf die Küche gezeigt, ihm einen Stuhl hingesetzt und an Kuchen und Getränken herangeschoben, was in der Nähe war. Sie hatte so etwas noch nie in ihrem Leben unternommen, und als sie sich vom Tisch aufrichtete, hatte ihr Herz geklopft, wie wenn in einem Mörser Zucker zerstoßen wird.
    »Wie heißen Sie?« fragte Soliman; da sprach er deutsch!
    »Rachelle!« hatte Rachel gesagt und war davongelaufen.
    Soliman hatte sich inzwischen in der Küche Kuchen, Wein und Brötchen schmecken lassen, eine Zigarette angezündet und ein Gespräch mit der Köchin begonnen. Als Rachel vom Servieren zurückkehrte, gab ihr das einen Stich. Sie sagte: »Da drinnen wird jetzt gleich wieder etwas sehr Wichtiges beraten werden!« Aber auf Soliman machte das keinen Eindruck, und die Köchin, die eine ältere Person war, lachte. »Daraus kann auch ein Krieg werden!« hatte Rachel erregt hinzugefügt, und als höchste Steigerung kam nun ihre Meldung vom Schlüsselloch, daß es fast schon soweit sei.
    Soliman horchte auf. »Sind österreichische Generale dabei?« fragte er.
    »Sehen Sie selbst!« sagte Rachel. »Einer ist schon da«; und sie gingen miteinander zum Schlüsselloch.
    Da fiel denn der Blick bald auf ein weißes Papier, bald auf eine Nase, bald ging ein großer Schatten vorbei, bald glänzte ein Ring auf. Das Leben zerfiel in helle Einzelheit; man sah grünes Tuch sich wie einen Rasen erstrecken; eine weiße Hand ruhte ohne Gegend, irgendwo, wächsern wie in einem Panoptikum; und wenn man ganz schief durchblickte, konnte man in einer Ecke die goldene Säbelquaste des Generals glimmen sehn. Selbst der verwöhnte Soliman zeigte sich ergriffen. Märchenhaft und unheimlich schwoll das Leben an, durch einen Türspalt und eine Einbildung gesehen. Die gebückte Haltung machte das Blut in den Ohren sausen, und die Stimmen hinter der Tür polterten bald wie Felsblöcke, bald glitten sie wie auf geseiften Bohlen. Rachel richtete sich langsam auf. Der Boden schien sich unter ihren Füßen zu heben, und der Geist des Ereignisses umschloß sie, als ob sie den Kopf unter eines jener schwarzen Tücher gesteckt hätte, welche die Zauberer und Photographen benutzen. Dann richtete sich auch Soliman auf, und das Blut senkte sich zitternd aus ihren Köpfen. Der kleine Neger lächelte, und hinter den blauen Lippen schimmerte ein scharlachrotes Zahnfleisch.
    Während diese Sekunde im Vorzimmer zwischen den an den Wänden hängenden Überkleidern einflußreicher Personen langsam wie auf der Trompete geblasen dahinging, wurde im Zimmer innen alles zum Beschluß erhoben, nachdem Graf Leinsdorf dort ausgesprochen hatte, daß man den hochwichtigen Anregungen des Herrn Generals großen Dank schulde, aber vorerst noch nicht ins Meritorische eingehen, sondern nur das Organisatorisch-Grundlegende beschließen wolle. Dazu war aber, außer der Anpassung des Plans an die Welt nach den Hauptgesichtspunkten der Ministerien, nur noch eine Schlußresolution vonnöten, die zum Inhalt hatte, daß die Anwesenden einstimmig übereingekommen seien, sobald sich durch ihre Aktion der Wunsch des Volks herausgestellt haben werde, diesen Sr. Majestät mit der untertänigsten Bitte zu unterbreiten, über die bis dahin bereitzustellenden Mittel zu seiner materiellen Durchführung aus Allerhöchster Gnade frei zu verfügen. – Dies hatte den Vorteil, daß das Volk in die Lage kam, sich selbst, aber doch durch Vermittlung des Allerhöchsten Willens sein als würdigst erkanntes Ziel zu setzen, und war auf besonderen Wunsch Sr. Erlaucht beschlossen worden, denn obgleich es sich dabei nur um eine Formfrage handelte, fand er es wichtig, daß das Volk nichts aus sich allein und ohne den zweiten konstitutionellen Faktor tue; auch nicht diesen ehren.
    Die übrigen Teilnehmer würden es nicht so genau genommen haben, aber

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