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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Ehrfurcht, was anfangs gesprochen wurde.

46

Ideale und Moral sind das beste Mittel, um das große Loch zu füllen, das man Seele nennt
    ARNHEIM SCHÜTTELTE als erster den Zauberbann ab. Denn längeres Verweilen in einem solchen Zustand war nach seiner Ansicht nicht möglich, ohne daß man entweder zu einem dumpfen, inhaltslosen, ruhseligen Brüten hinabsinkt oder der Andacht ein festes Gerüst von Gedanken und Überzeugungen unterschiebt, das ihr aber nicht mehr ganz wesensgleich ist.
    Ein solches Mittel, das die Seele zwar tötet, aber dann gleichsam in kleinen Konserven zum allgemeinen Gebrauch aufbewahrt, ist seit je ihre Verbindung mit der Vernunft, den Überzeugungen und dem praktischen Handeln gewesen, wie sie alle Moralen, Philosophien und Religionen erfolgreich durchgeführt haben. Weiß Gott, wie gesagt, was überhaupt eine Seele ist! Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß der glühende Wunsch, nur auf sie zu hören, einen unermeßlichen Spielraum, eine wahre Anarchie übrig läßt, und man hat Beispiele dafür, daß sozusagen chemisch reine Seelen geradezu Verbrechen begehn. Sobald dagegen eine Seele Moral hat oder Religion, Philosophie, vertiefte bürgerliche Bildung und Ideale auf den Gebieten der Pflicht und des Schönen, ist ihr ein System von Vorschriften, Bedingungen und Durchführungsbestimmungen geschenkt, das sie auszufüllen hat, ehe sie daran denken darf, eine beachtenswerte Seele zu sein, und ihre Glut wird wie die eines Hochofens in schöne Sandrechtecke geleitet. Es bleiben dann im Grunde nur noch logische Fragen der Auslegung übrig, von der Art, ob eine Handlung unter dieses oder jenes Gebot fällt, und es hat die Seele die ruhige Übersichtlichkeit eines Feldes nach geschlagener Schlacht, wo die Toten still liegen und man sofort bemerken kann, wo ein Stückchen Leben sich noch erhebt oder stöhnt. Darum vollzieht der Mensch, so rasch er kann, diesen Übergang. Wenn ihn Glaubenssorgen quälen, wie es zuweilen in der Jugend vorkommt, geht er alsbald zur Verfolgung Ungläubiger über; wenn ihn die Liebe verstört, macht er aus ihr die Ehe; und wenn ihn irgendeine andere Begeisterung überwältigt, entzieht er sich der Unmöglichkeit, dauernd in ihrem Feuer zu leben, dadurch, daß er für dieses Feuer zu leben beginnt. Das heißt, er füllt die vielen Augenblicke seines Tags, von denen jeder einen Inhalt und Antrieb braucht, an Stelle seines Idealzustands mit der Tätigkeit für seinen Idealzustand, das heißt mit den vielen Mitteln zum Zweck, Hindernissen und Zwischenfällen aus, die ihm sicher verbürgen, daß er ihn niemals zu erreichen braucht. Denn dauernd vermögen bloß Narren, Geistesgestörte und Menschen mit fixen Ideen, im Feuer der Beseeltheit auszuharren; der gesunde Mensch muß sich damit begnügen, die Erklärung abzugeben, daß ihm ohne eine Flocke dieses geheimnisvollen Feuers das Leben nicht lebenswert vorkäme.
    Arnheims Dasein war von Tätigkeit ausgefüllt; er war ein Mann der Wirklichkeit und hatte mit wohlwollendem Lächeln und nicht ohne Gefühl für die gute gesellschaftliche Haltung der Altösterreicher zugehört, wie man in der Sitzung, deren Zeuge er war, von einer Kaiser-Franz-Josef-Suppenanstalt und dem Zusammenhang zwischen Pflichtgefühl und Militärmärschen gesprochen hatte; er war weit davon entfernt, sich darüber lustig zu machen, wie es Ulrich getan hatte, denn er war überzeugt, daß es weit weniger Mut und Überlegenheit anzeige, großen Gedanken zu folgen, als in solchen alltäglichen und etwas lächerlichen Gemütern von gutem Aussehen den rührenden Kern von Idealismus gelten zu lassen.
    Als aber mitten darin Diotima, diese Antike mit einem wienerischen Plus, das Wort Welt-Österreich ausgesprochen hatte, ein Wort, das so heiß und fast auch so menschlich unverständlich war wie eine Flamme, da hatte ihn etwas ergriffen.
    Man erzählte eine Geschichte von ihm. Er besaß in seinem Berliner Wohnhaus einen Saal, der ganz voll mit barocken und gotischen Skulpturen war. Nun bildet aber die katholische Kirche (und Arnheim hatte große Liebe zu ihr) ihre Heiligen und die Bannerträger des Guten meistens in sehr beglückten. ja verzückten Stellungen ab. Da starben Heilige in allen Lagen, und die Seele rang die Körper wie ein Stück Wäsche, aus dem man das Wasser preßt. Die wie Säbel gekreuzten Gebärden der Arme und der verwundenen Hälse, losgelöst aus ihrer ursprünglichen Umgebung und in einem fremden Zimmer vereinigt, machten den Eindruck

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