Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
zum Wort drängt; aber er hatte eine still vornehme, fließende Art zu sprechen, eine Art, die fast traurig über sich selbst war, wie ein von dunklen Büschen eingesäumter Bach, und das gab dem Vielreden gleichsam etwas Notwendiges. Seine Belesenheit und sein Gedächtnis hatten wirklich einen ungewöhnlichen Umfang; er vermochte Kennern die feinsten Stichworte ihres Wissensgebiets zu bringen, kannte aber ebensogut jede wichtige Person aus dem englischen, dem französischen oder japanischen Adel und wußte auf Renn- und Golfplätzen nicht nur in Europa, sondern auch in Australien und Amerika Bescheid. So verließen selbst die Gemsjäger, Pferdebändiger und Stammlogenbesitzer der Hoftheater, die gekommen waren, um einen verrückten reichen Juden zu sehn (halt auch so was Neiches – hieß das in ihrer Mundart), Diotimas Haus mit einem achtungsvollen Kopfschütteln.
Se. Erlaucht nahm einmal Ulrich beiseite und sagte zu ihm: »Wissen Sie, der Hochadel hat in den letzten hundert Jahren Pech mit seinen Hauslehrern gehabt! Früher sind das Menschen gewesen, von denen ein großer Teil nachher in den Konversationslexikon gekommen ist; und diese Hofmeister haben wieder Musik- und Zeichenlehrer mit sich gebracht, die zum Dank dafür Sachen gemacht haben, die man heute unsre alte Kultur nennt. Aber seit es die neue und allgemeine Schule gibt und Leute aus meinen Kreisen, entschuldigen Sie, den Doktortitel erwerben, sind irgendwie die Hauslehrer schlecht geworden. Unsere Jugend hat ja ganz recht, wenn sie Fasanen und Säue schießt, reitet und sich hübsche Frauenzimmer aussucht, – dagegen ist wenig zu sagen, wenn man jung ist; aber früher haben eben die Hauslehrer einen Teil dieser Jugendkraft darauf gelenkt, daß man den Geist und die Kunst ebenso hegen muß wie die Fasanen, und das fehlt heute.« Es war das Sr. Erlaucht eben so eingefallen, und es fielen ihm manchmal solche Dinge ein; plötzlich wandte er sich ganz zu Ulrich und schloß: »Sehen Sie, das ist das verhängnisvolle Jahr Achtundvierzig, welches das Bürgertum vom Adel zu beider Schaden getrennt hat!« Er blickte besorgt in die Gesellschaft. Er ärgerte sich jedesmal, wenn in den Oppositionsreden des Parlaments die Wortführer mit der bürgerlichen Kultur protzten, und würde es gerne gesehen haben, wenn die wahre bürgerliche Kultur beim Adel zu finden gewesen wäre; der arme Adel aber konnte nichts an ihr finden, sie war eine für ihn unsichtbare Waffe, mit der man ihn schlug, und da er im Lauf dieser Entwicklung immer mehr an Macht verloren hatte, kam man schließlich zu Diotima und besah sich die Sache. So empfand es Graf Leinsdorf manchmal mit bekümmertem Herzen, wenn er den Betrieb beobachtete; er würde gewünscht haben, daß man das Amt, zu dem in diesem Hause Gelegenheit gegeben war, ernster genommen hätte. »Erlaucht, dem Bürgertum geht es heute mit den Intellektuellen genau so, wie es seinerzeit dem Hochadel mit seinen Hofmeistern gegangen ist!« suchte ihn Ulrich zu trösten. »Das sind ihm fremde Leute. Bitte, sehn Sie sich an, wie alle diesen Doktor Arnheim bestaunen.«
Aber Graf Leinsdorf hatte ohnedies die ganze Zeit über nur auf Arnheim gesehn. »Das ist übrigens schon kein Geist mehr,« ging Ulrich auf dieses Staunen ein »das ist ein Phänomen wie ein Regenbogen, den man beim Fuß fassen und ganz richtig betasten kann. Er spricht von Liebe und Wirtschaft, von Chemie und Kajakfahrten, er ist ein Gelehrter, ein Gutsbesitzer und ein Börsenmann; mit einem Wort, was wir alle getrennt sind, das ist er in einer Person, und da staunen wir eben. Erlaucht schütteln den Kopf? Aber ich bin überzeugt, die Wolke des sogenannten Fortschritts der Zeit, in die niemand hineinsieht, hat ihn uns aufs Parkett gestellt.«
»Ich habe nicht über Sie den Kopf geschüttelt,« berichtigte Se. Erlaucht »ich habe an den Doktor Arnheim gedacht. Alles in allem muß man zugeben, daß er eine interessante Persönlichkeit ist.«
48
Die drei Ursachen von Arnheims Berühmtheit und das Geheimnis des Ganzen
ABER ALLES DAS war nur die gewöhnliche Wirkung der Person Dr. Arnheims.
Er war ein Mann großen Formats.
Seine Tätigkeit breitete sich über Kontinente der Erde wie des Wissens aus. Er kannte alles: die Philosophen, die Wirtschaft, die Musik, die Welt, den Sport. Er drückte sich geläufig in fünf Sprachen aus. Die berühmtesten Künstler der Welt waren seine Freunde, und die Kunst von morgen kaufte er am Halm, zu noch nicht hinaufgesetzten Preisen. Er
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