Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
verkehrte am kaiserlichen Hof und unterhielt sich mit Arbeitern. Er besaß eine Villa in modernstem Stil, die in allen Zeitschriften für zeitgenössische Baukunst abgebildet wurde, und ein wackliges altes Schloß irgendwo in der kargsten adeligen Mark, das geradezu wie die morsche Wiege des preußischen Gedankens aussah.
Solche Ausbreitung und Aufnahmefähigkeit ist selten von eigenen Leistungen begleitet; aber auch darin machte Arnheim eine Ausnahme. Er zog sich ein- oder zweimal im Jahr auf sein Landgut zurück und schrieb dort die Erfahrungen seines geistigen Lebens nieder. Diese Bücher und Abhandlungen, deren er nun schon eine stattliche Reihe verfaßt hatte, waren sehr gesucht, erreichten hohe Auflagen und wurden in viele Sprachen übersetzt; denn zu einem kranken Arzt hat man kein Vertrauen, was aber einer zu sagen hat, der es verstanden hat, für sich selbst gut zu sorgen, daran muß doch wohl mancherlei Wahres sein. Dies war die erste Quelle seiner Berühmtheit.
Die zweite entsprang dem Wesen der Wissenschaft. Die Wissenschaft steht bei uns in hohem Ansehen, und mit Recht; aber wenn es auch sicher ein Menschenleben ganz ausfüllt, wenn man sich der Erforschung der Nierentätigkeit widmet, so gibt es doch Augenblicke dabei, wo man sich veranlaßt sieht, humanistische Augenblicke will dies sagen, an den Zusammenhang der Nieren mit dem Volksganzen zu erinnern. Darum wird in Deutschland so viel Goethe zitiert. Will ein Akademiker aber ganz besonders zeigen, daß er nicht nur Gelehrsamkeit, sondern auch lebendigen, zukunftsfrohen Geist besitzt, so weist er sich am besten durch den Hinweis auf Schriften aus, deren Bekanntschaft nicht nur Ehre macht, sondern noch mehr Ehre verspricht, wie ein Papier, das im Steigen ist, und in solchen Fällen erfreuten sich Zitate aus Paul Arnheim zunehmender Beliebtheit. Die Ausflüge in die Gebiete der Wissenschaften, die er unternahm, um seine allgemeinen Auffassungen zu stützen, genügten freilich nicht immer den strengsten Anforderungen. Sie zeigten wohl ein spielendes Verfügen über eine große Belesenheit, aber der Fachmann fand unweigerlich in ihnen jene kleinen Unrichtigkeiten und Mißverständnisse, an denen man eine Dilettantenarbeit so genau erkennen kann, wie sich schon an der Naht ein Kleid, das von einer Hausschneiderin gemacht ist, von einem unterscheiden läßt, das aus einem richtigen Atelier stammt. Nur darf man durchaus nicht glauben, daß das die Fachleute hinderte, Arnheim zu bewundern. Sie lächelten selbstgefällig; er imponierte ihnen als etwas ganz Neuzeitliches, als ein Mann, von dem alle Zeitungen sprachen, ein Wirtschaftskönig, seine Leistungen waren, mit den geistigen Leistungen älterer Könige verglichen, immerhin überragend, und wenn sie bemerken durften, daß sie auf ihrem eigenen Gebiet doch noch etwas beträchtlich anderes darstellten als er, so erwiesen sie sich dafür dankbar, indem sie ihn einen geistvollen Mann nannten, einen genialen oder ganz einfach einen universalen, was unter Fachleuten soviel sagt, wie wenn man unter Männern von einer Frau erklärt, daß sie eine Schönheit für den Frauengeschmack sei.
Die dritte Quelle von Arnheims Berühmtheit lag in der Wirtschaft. Es erging ihm nicht schlecht mit ihren alten, seebefahrenen Kapitänen; wenn er ein großes Geschäft mit ihnen zu vereinbaren hatte, legte er selbst die gerissensten hinein. Sie hielten zwar nicht viel von ihm als Kaufmann und nannten ihn den »Kronprinzen«, zum Unterschied von seinem Vater, dessen kurze, dicke Zunge nicht beweglich zu reden vermochte, aber dafür im weitesten Umkreis und an den feinsten Anzeichen herausschmeckte, was ein Geschäft war. Diesen fürchteten sie und verehrten ihn; wenn sie aber von den philosophischen Forderungen hörten, die der Kronprinz an ihren Stand stellte und sogar in die sachlichsten Unterredungen verflocht, so lächelten sie. Er war berüchtigt dafür, daß er in Verwaltungsratsitzungen die Dichter zitierte und darauf bestand, daß die Wirtschaft etwas sei, das man von den anderen menschlichen Tätigkeiten nicht absondern könne und nur im großen Zusammenhang aller Fragen des nationalen, des geistigen, ja selbst des innerlichsten Lebens behandeln dürfe. Aber immerhin, wenn sie auch dazu lächelten, konnten sie doch nicht ganz übersehen, daß Arnheim junior gerade mit diesen Zutaten zum Geschäft die öffentliche Meinung in steigendem Maße beschäftigte. Bald im wirtschaftlichen, bald im politischen oder im kulturellen
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