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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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überhaupt nicht verstanden, wohl aber hatte er sie mit dem Gefühl erraten und haßte seinen Herrn seit der Veränderung, die mit ihm vollzogen worden war. Er verzichtete auch weiterhin keineswegs auf Bücher, Bonbons und Zigaretten, aber während er sich früher bloß genommen hatte, was ihn freute, bestahl er Arnheim nun mit vollem Bewußtsein und konnte sich an diesem Rachegefühl so wenig genugtun, daß er manchmal auch einfach Dinge zerbrach, versteckte oder wegwarf, die zur Verwunderung Arnheims, der sich dunkel an sie zu erinnern glaubte, nie wieder zum Vorschein kamen. Während sich Soliman derart wie ein Kobold rächte, nahm er sich aber in seinen dienstlichen Obliegenheiten und im gefälligen Auftreten ungemein zusammen. Er war nach wie vor eine Sensation bei allen Köchinnen, Stubenmädchen, Hotelangestellten und weiblichen Besuchern, wurde von ihren Blicken und ihrem Lächeln verwöhnt, von Gassenbuben spöttisch begafft und blieb es gewohnt, sich als eine fesselnde und wichtige Persönlichkeit zu fühlen, auch wenn er unterdrückt wurde. Selbst sein Herr schenkte ihm noch zuweilen einen zufriedenen und geschmeichelten Blick oder ein freundliches und weises Wort, man lobte ihn allgemein als anstelligen, gefälligen Jungen, und wenn es sich gerade so traf, daß Soliman kurz vorher etwas besonders Verwerfliches auf sein Gewissen geladen hatte, so genoß er dienstwillig grinsend seine Überlegenheit wie eine verschluckte Kugel glühend kalten Eises.
    Das Vertrauen dieses Jungen hatte Rachel in dem Augenblick gewonnen, wo sie ihm mitteilte, daß in ihrem Hause vielleicht ein Krieg vorbereitet werde, und seither mußte sie die schändlichsten Eröffnungen über ihren Abgott Arnheim von ihm entgegennehmen. Trotz all seiner Blasiertheit sah Solimans Phantasie aus wie ein Nadelkissen voll Schwertern und Dolchen, und in allem, was er Rachel von Arnheim erzählte, donnerte es von Roßhufen, und es schwankten Fackeln und Strickleitern. Er vertraute ihr an, daß er gar nicht Soliman heiße, und nannte ihr einen langen, sonderbar klingenden Namen, den er so schnell aussprach, daß sie sich ihn niemals merken konnte. Später fügte er das Geheimnis hinzu, daß er der Sohn eines Negerfürsten und seinem Vater, der tausende Krieger, Rinder, Sklaven und Edelsteine besitze, als Kind gestohlen worden sei; Arnheim habe ihn gekauft, um ihn dereinst dem Fürsten furchtbar teuer wieder zu verkaufen, aber er wolle fliehen und habe es bisher bloß deshalb nicht tun können, weil sein Vater so weit weg wohne.
    Rachel war nicht so dumm, diesen Geschichten zu glauben; aber sie glaubte ihnen, weil ihr in der Parallelaktion kein Maß des Unglaublichen groß genug war. Sie würde auch gerne Soliman verboten haben, so von Arnheim zu sprechen; aber sie mußte es sich an einem mit Grauen vermengten Mißtrauen gegen seine Vermessenheit genug sein lassen, denn irgendwie fühlte sie die Behauptung, daß seinem Herrn nicht zu trauen sei, trotz aller Zweifel als eine ungeheure, herannahende, spannende Verwicklung in der Parallelaktion.
    Es waren Gewitterwolken, hinter denen der hochgewachsene Mann in der moosbewachsenen Mühle verschwand, und ein fahles Licht sammelte sich in den faltigen Grimassen von Solimans kleinem Affengesicht.

56

Lebhafte Arbeit in den Ausschüssen der Parallelaktion. Clarisse schreibt an Se. Erlaucht und schlägt ein Nietzsche-Jahr vor
    ZU DIESER ZEIT mußte Ulrich zwei- bis dreimal in jeder Woche Se. Erlaucht besuchen. Er fand ein hohes, schlankes, schon als Raum entzückendes Zimmer für sich bereit. Am Fenster stand ein großer Maria-Theresia-Schreibtisch. An der Wand hing ein dunkles Bild, mit verschlossen leuchtenden roten, blauen und gelben Flecken darin, das irgendwelche Reiter darstellte, die anderen, gestürzten Reitern Lanzen in die Weichteile bohrten; und an der gegenüberliegenden Wand befand sich eine vereinsamte Dame, deren Weichteile sorgfältig durch ein goldgesticktes Wespenkorsett geschützt waren. Es war nicht einzusehen, warum man sie ganz allein an diese Wand verbannt hatte, denn sie hatte offenbar der Familie Leinsdorf angehört, und ihr junges gepudertes Gesicht sah dem des Grafen so ähnlich wie eine Fußstapfe in trockenem Schnee einer Fußstapfe in nasser Lehmerde. Ulrich hatte übrigens wenig Gelegenheit, das Gesicht des Grafen Leinsdorf zu betrachten. Der äußere Verlauf der Parallelaktion hatte seit der letzten Sitzung einen solchen Aufschwung genommen, daß Se. Erlaucht niemals

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