Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
Welt verschmolz mit der körperlichen Anmut dieser Frau. Heute, wo die Beziehungen der Geschlechter so vereinfacht sind, muß man wohl betonen, daß dies das Höchste ist, was ein Mann erleben kann. General Stumms Arme fühlten sich in Gedanken viel zu kurz, um die hohe Fülle Diotimas zu umspannen, während sein Geist im gleichen Augenblick der Welt und ihrer Kultur gegenüber das gleiche erlebte, so daß in alle Geschehnisse eine sanfte Liebe kam und in des Generals rundlichen Leib etwas wie die schwebende Rundheit der Weltkugel.
    Es war diese Schwärmerei, die Stumm von Bordwehr, kurze Zeit nachdem ihn Diotima aus ihrer Nähe entlassen hatte, wieder dahin zurückführte. Er stellte sich nahe der bewunderten Frau auf, zumal er niemanden anderen kannte, und lauschte auf ihre Gespräche. Er würde sich am liebsten Notizen gemacht haben, denn er hätte es nicht für möglich gehalten, mit solchem geistigen Reichtum lächelnd wie mit einer Perlenkette zu spielen, wäre er nicht Ohrenzeuge der Gespräche gewesen, mit denen Diotima die verschiedensten Berühmtheiten begrüßte. Erst ihr Blick, nachdem sie sich einigemal ungnädig zur Seite gedreht hatte, führte ihm das für einen General Unpassende seines Lauschens zu Gemüt und scheuchte ihn fort. Er strich ein paarmal einsam durch die übervolle Wohnung, trank ein Glas Wein und wollte sich gerade an einer Zimmerwand eine dekorative Stellung suchen, da entdeckte er Ulrich, den er schon bei der ersten Sitzung gesehen hatte, und der Augenblick erleuchtete sein Gedächtnis, denn Ulrich war ein einfallsreicher, unruhiger Leutnant in einer der beiden Schwadronen gewesen, die General Stumm seinerzeit als Oberstleutnant sanft geleitet hatte. »Ein ähnlicher Mensch wie ich,« dachte Stumm »und er hat es schon in jungen Jahren zu dieser hohen Stellung gebracht!« Er steuerte auf ihn los, und nachdem sie ihr Wiedererkennen bekräftigt und eine Weile über die eingetretenen Veränderungen geplaudert hatten, wies Stumm auf die Versammlung ringsum und meinte: »Eine hervorragende Gelegenheit für mich, die wichtigsten Zivilfragen der Welt kennen zu lernen!«
    »Du wirst staunen, Herr General« antwortete ihm Ulrich.
    Der General, der einen Bundesgenossen suchte, schüttelte ihm warm die Hand: »Du warst Leutnant im neunten Uhlanenregiment,« sagte er bedeutungsvoll »und es wird einmal eine große Ehre für uns gewesen sein, wenn es die anderen jetzt auch noch nicht so begreifen wie ich!«

81

Graf Leinsdorf äußert sich über Realpolitik. Ulrich gründet Vereine
    WÄHREND AM KONZIL sich noch nicht der kleinste Ansatz zu einem Ergebnis bemerken ließ, machte die Parallelaktion im Graf Leinsdorfschen Palais heftige Fortschritte. Dort liefen die Fäden der Wirklichkeit zusammen, und Ulrich kam zweimal wöchentlich hin.
    Nichts setzte ihn so in Erstaunen wie die Zahl der Vereine, die es gibt. Es meldeten sich Land- und Wasser-, Mäßigkeits- und Trinkvereine, kurz Vereine und Gegenvereine. Diese Vereine förderten die Bestrebungen ihrer Mitglieder und störten die der anderen. Es machte den Eindruck, daß jeder Mensch mindestens einem Vereine angehöre. »Erlaucht,« sagte Ulrich erstaunt »das kann man nicht mehr Vereinsmeierei nennen, wie man es arglos gewohnt ist; das ist der ungeheuerliche Zustand, daß in der Art von Ordnungstaat, die wir erfunden haben, jeder Mensch noch einer Räuberbande angehört…!«
    Graf Leinsdorf hatte aber eine Vorliebe für Vereine. Bedenken Sie,« erwiderte er »daß die Ideologenpolitik noch nie zu etwas Gutem geführt hat; wir müssen Realpolitik machen. Ich stehe nicht an, die allzu geistigen Bestrebungen in der Umgebung Ihrer Kusine sogar für eine gewisse Gefahr zu halten!«
    »Wollen mir Erlaucht Richtlinien geben?« bat der andere.
    Graf Leinsdorf sah ihn an. Er überlegte, ob das, was er eröffnen wollte, für den unerfahrenen jüngeren Mann nicht doch zu kühn sei. Aber dann entschloß er sich. »Ja, sehen Sie,« begann er vorsichtig »ich werde Ihnen jetzt etwas sagen, was Sie vielleicht noch nicht wissen, weil Sie jung sind; Realpolitik heißt: Gerade das nicht tun, was man gern möchte; dagegen kann man die Menschen gewinnen, indem man ihnen kleine Wünsche erfüllt!«
    Sein Zuhörer glotzte Graf Leinsdorf fassungslos an, der geschmeichelt lächelte.
    »Also nicht wahr,« erläuterte er »ich habe doch soeben gesagt, die Realpolitik darf sich nicht von der Macht der Idee, sondern sie muß sich vom praktischen Bedürfnis leiten lassen.

Weitere Kostenlose Bücher