Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
1. Kapitel
Kapitän Horatio Hornblower wanderte auf einem Teil der Wälle von Rosas hin und her, der von zwei Posten mit geladenen Musketen begrenzt wurde. Der Kommandant hatte ihm gestattet, sich hier Bewegung zu machen. Über ihm leuchtete die strahlende Herbstsonne des Mittelmeers vom blauen Himmel und schien auf das blaue Wasser der Bucht von Rosas, deren Ränder dort weiß gesäumt waren, wo sich die schwache Brandung an der Küste aus goldenem Sand und graugrünen Klippen brach. Dunkel gegen die Sonne flatterte die französische Trikolore über Hornblowers Kopf. Sie verkündete der Welt, daß sich Rosas in den Händen der Franzosen befand und daß Kapitän Hornblower ein Gefangener war. Keine halbe Seemeile von ihm entfernt lag das entmastete Wrack seines Schiffes Sutherland. Man hatte es auflaufen lassen, um es nicht in tieferem Wasser sinken zu lassen. Dahinter ankerten die vier Linienschiffe, die er bekämpft hatte. Hornblower kniff die Augen zusammen. Obwohl er es ein wenig bedauerte, nicht mehr sein Teleskop zu besitzen, erkannte er doch selbst auf diese Entfernung, daß jene Schiffe nicht befähigt waren, in See zu gehen, und es vermutlich auch in absehbarer Zeit nicht sein würden. Sogar an Bord jenes Zweideckers, der mit einigermaßen intakter Takelage entkommen war, mussten alle zwei Stunden die Pumpen in Gang gesetzt werden, um ihn vor dem Wegsacken zu bewahren. Den anderen dreien aber war es bisher noch nicht gelungen, die Masten zu ersetzen, die sie im Gefecht einbüssten. Die Franzosen waren hundsmiserable Seeleute, wie das nach siebzehn Jahren fortgesetzter Niederlagen und nach sechs Jahren der Blockade kaum anders zu erwarten war.
In ihrer französischen Art waren sie alle äußerst liebenswürdig gegen ihn gewesen. Sie hatten ihm in überschwenglicher Weise seine ruhmreiche Verteidigung und die kühne Entschlusskräfte gepriesen, die er bewies, als er sich allein mit seinem Schiff zwischen die vier Gegner und deren Zufluchtsort Rosas warf. Sie hatten ihre lebhärteste Genugtuung über die Tatsache geäußert, daß er wie durch ein Wunder unverletzt aus einem Kampf hervorgegangen war, in dem zwei Drittel seiner Besatzung gefallen oder verwundet worden war.
Dessen ungeachtet aber hatten sie in einer Weise geplündert, die die Truppen des Kaiserreiches in ganz Europa verhasst gemacht hatte. Selbst die Taschen der Verwundeten, die in stöhnenden Gruppen auf den Decks der Sutherland umhergelegen hatten, wurden nicht verschont. Bei der ersten Begegnung mit Hornblower hatte der Admiral seinem Erstaunen darüber Ausdruck gegeben, daß der englische Kommandant nicht mehr den Degen trug, den er ihm seines tapferen Verhaltens wegen hatte zurückgeben lassen. Als Hornblower daraufhin erklärte, die Waffe niemals wiedergesehen zu haben, wurde eine Untersuchung angeordnet, die zwar den weggeworfenen Degen in irgendeinem Winkel des Flaggschiffes zutage förderte, doch war er inzwischen sämtlicher goldenen Beschläge beraubt worden. Nur die auf die Klinge eingravierte ruhmreiche Inschrift kennzeichnete ihn noch als Ehrengabe. Der französische Admiral hatte indessen nur gelacht. Nicht im Traume fiel es ihm ein, nach dem Dieb fahnden zu lassen. So baumelte denn das Geschenk der›Vaterländischen Vereinigung‹ohne den Schmuck des Goldes, des Elfenbeins und der kleinen Perlen an Hornblowers Seite. Nackt ragte die Klinge aus der verstümmelten Scheide hervor.
Die französischen Soldaten, die in Scharen über das eroberte Schiff hergefallen waren, hatten selbst alle Messingbeschläge gestohlen, und die wenig appetitanregenden Vorräte wurden von ihnen mit einer Gier verschlungen, die erkennen ließ, in welch unzulänglicher Weise die Männer verpflegt wurden, die für das Kaiserreich ihre Haut zu Markte trugen, aber nur einige hatten sich bis zur Bewusstlosigkeit am Rum berauscht. In einem ähnlichen Falle - den die englischen Offiziere allerdings von vornherein verhindert hätten - würden britische Seeleute so hemmungslos getrunken haben, bis neun Zehntel von ihnen umgefallen wären oder eine wüste Rauferei begonnen hätten.
Die französischen Offiziere hatten es in der üblichen Weise den Gefangenen freigestellt, in den Dienst Napoleons zu treten, wobei jedem gute Behandlung und regelmäßige Bezahlung zugesichert wurde, der sich entweder für die Flotte oder für die Armee anwerben ließ. Hornblower war stolz darauf, daß niemand solcher Versuchung erlegen war.
Infolgedessen langweilten sich nun die
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