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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Gerüchen und Wohlgerüchen, im Lärm, der für Sekunden zerbarst, um ein einzelnes Geräusch herauszulassen, in der unzähligen Vielfältigkeit der Zivilisten und selbst in den kleinen weißen Tischen der Restaurants, die so unerhört individuell sind, wenn sie auch unleugbar alle gleich aussehen, in alledem war ein Glück, das wie Sporenklingeln im Kopf tönte. Es war ein Glück, wie es zivile Menschen nur bei einer Bahnfahrt ins Freie finden; man weiß nicht wie, aber man wird den Tag grün, glücklich und von irgendetwas überwölbt verbringen. In diesem Gefühl lag die eigene Bedeutsamkeit eingeschlossen, die des Kriegsministeriums, der Bildung, die Bedeutsamkeit jedes anderen Menschen, und alles so stark, daß Stumm, seit er hier war, noch kein einzigesmal daran gedacht hatte ‚wieder die Museen oder ein Theater zu besuchen. Es war das eben etwas, das selten zu Bewußtsein kommt, aber alles durchdrang, von den Generalsborten bis zu den Stimmen der Turmglocken, und ebensoviel wie eine Musik bedeutet, ohne die der Tanz des Lebens augenblicklich stillstehen würde.
    Der Teufel, er war seinen Weg gegangen! So dachte Stumm von sich selbst, wie er nun zu allem Überfluß auch noch hier, in solcher berühmten Versammlung des Geistes, inmitten der Zimmer stand. – Nun stand er da! Er war die einzige Uniform in dieser durchgeistigten Umgebung! Und es kam noch etwas hinzu, um ihn staunen zu machen. Man stelle sich die himmelblaue Weltkugel vor, ein wenig ins Vergißmeinnichtblau des Stummschen Waffenrocks aufgehellt und ganz und gar bestehend aus Glück, aus Bedeutsamkeit, aus dem geheimnisvollen Gehirnphosphor innerer Erleuchtung, inmitten dieser Kugel aber das Herz des Generals und auf diesem Herzen, wie Maria auf dem Kopf der Schlange stehend, eine göttliche Frau, deren Lächeln mit allen Dingen verwoben und die geheime Schwere aller Dinge ist: so erreicht man ungefähr den Eindruck, den Diotima seit der ersten Stunde, wo ihr Bild seine sich langsam bewegenden Augen gefüllt hatte, auf Stumm von Bordwehr machte. General Stumm liebte eigentlich Frauen ebensowenig wie Pferde. Seine rundlichen, etwas kurzen Beine hatten sich im Sattel heimatlos gefühlt, und wenn er dann auch noch in der dienstfreien Zeit von Pferden sprechen mußte, hatte ihm nachts geträumt, er sei bis auf die Knochen aufgeritten und könne nicht absteigen; ebenso hatte seine Bequemlichkeit aber auch seit je Liebesausschreitungen mißbilligt, und da ihn schon der Dienst genügend ermüdete, brauchte er seine Kräfte nicht durch nächtliche Ventile ausströmen zu lassen. Gewiß war er seinerzeit auch nicht ein Spaßverderber gewesen, aber wenn er seine Abende nicht mit seinen Messern, sondern mit seinen Kameraden verbrachte, so griff er gewöhnlich zu einem weisen Auskunftsmittel, denn sein Sinn für körperliche Harmonie hatte ihn bald gelehrt, daß man sich durch das exzessive Stadium rasch in das schläfrige durchtrinken könne, und das war ihm viel bequemer gewesen als die Gefahren und Enttäuschungen der Liebe. Als er später heiratete und über kurz zwei Kinder samt ihrer ehrgeizigen Mutter zu erhalten hatte, kam ihm erst ganz zu Bewußtsein, wie vernünftig seine Lebensgewohnheiten früher gewesen waren, ehe er der Verführung zu ehelichen erlegen war, wozu ihn zweifellos nur das etwas Unmilitärische verleitet hatte, das der Vorstellung eines verheirateten Kriegers anhängt. Seit dieser Zeit entwickelte sich lebhaft ein außereheliches Weibesideal in ihm, das er offenbar unbewußt auch vorher schon in sich getragen hatte, und es bestand in einer milden Schwärmerei für Frauen, die ihn einschüchterten und dadurch jeder Bemühung enthoben. Wenn er die Frauenbildnisse ansah, die er in seiner Junggesellenzeit aus illustrierten Zeitschriften geschnitten hatte – aber es war das immer nur ein Nebenzweig seiner Sammeltätigkeit gewesen –, so hatten sie alle diesen Zug; aber er hatte es früher nicht gewußt, und zu überwältigender Schwärmerei wurde es erst durch seine Begegnung mit Diotima. Ganz abgesehen von dem Eindruck ihrer Schönheit, hatte er zu allem Anfang schon, als er hörte, daß sie eine zweite Diotima sei, im Konversationslexikon nachschlagen müssen, was überhaupt eine Diotima bedeute; dann verstand er die Bezeichnung nicht ganz und bemerkte nur so viel, daß sie mit dem großen Kreis der zivilen Bildung zusammenhänge, von der er leider trotz seiner Stellung noch immer viel zu wenig wisse, und die geistige Übermacht der

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