Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
etwas anderes! Wenn Empfang ist, stelle ich mich manchmal hinter sie: Eine imponierend weibliche Fülle! Und dabei spricht sie auf der vorderen Seite mit irgendeinem hervorragenden Zivilisten gleichzeitig so gelehrt, daß ich mir am liebsten Notizen machen möchte! Und der Sektionschef, mit dem sie verheiratet ist, weiß absolut nicht, was er an ihr hat. Ich bitte um Verzeihung, wenn dir dieser Tuzzi vielleicht besonders sympathisch sein sollte, aber ich kann ihn nicht ausstehn! Der schleicht bloß herum und lächelt, als ob er wüßte, wo Bartel den Most holt, und es uns nicht verraten wollte. Und das soll er mir nicht vormachen, denn bei aller meiner Verehrung für das Zivil, die Regierungsbeamten nehmen darin den letzten Platz ein; die sind nichts als eine Art ziviles Militär, die mit uns bei jeder Gelegenheit um den Vorrang streiten und dabei eine so unverschämte Höflichkeit haben wie eine Katz, wenn sie auf einem Baum sitzt und einen Hund anschaut. Da ist der Dr. Arnheim ein anderes Kaliber« plauderte Stumm weiter; »vielleicht auch eingebildet, aber solche Überlegenheit muß man eben anerkennen.« Er hatte offenbar ein wenig rasch getrunken, nach dem vielen Sprechen, denn er wurde behaglich und vertraulich. »Ich weiß nicht, was das ist,« fuhr er fort »wahrscheinlich verstehe ich es nicht, weil man heute selbst schon einen so komplizierten Intellekt hat, aber obgleich ich doch selbst deine Kusine bewundere, als ob ich – also ich muß geradezu sagen, als ob ich einen zu großen Bissen im Hals stecken hätte! – so ist es mir doch auch eine Erleichterung, daß sie in den Arnheim verliebt ist.«
»Wie? Du bist sicher, daß sie miteinander etwas haben?« Ulrich hatte das etwas lebhaft gefragt, obgleich es ihm eigentlich nicht nahegehen sollte; Stumm glotzte ihn mit seinen kurzsichtigen, von der Erregung noch getrübten Augen mißtrauisch an und setzte seinen Zwicker auf. »Ich habe nicht behauptet, daß er sie gehabt hat« entgegnete er in unverblümter Offiziersweise, steckte seinen Zwicker wieder ein und fügte ganz unsoldatisch hinzu: »Ich würde aber auch nichts dagegen haben; hol mich der Teufel, ich habe dir schon gesagt, daß man in dieser Gesellschaft einen komplizierten Intellekt bekommt; ich bin gewiß kein Buserant, aber wenn ich mir die Zärtlichkeit vorstelle, die Diotima diesem Mann schenken könnte, dann fühle auch ich Zärtlichkeiten für ihn, und umgekehrt ist mir, als ob es meine eigenen Küsse wären, die er Diotima gibt.«
»Er gibt ihr Küsse?«
»Aber das weiß ich doch nicht, ich spioniere ihnen ja nicht nach. Ich denk mir nur so, wenn. Ich versteh mich eben selbst nicht. übrigens habe ich schon einmal gesehn, wie er ihre Hand gefangen hat, als sie geglaubt haben, daß niemand zusieht, und da sind sie eine Weile so still gewesen, wie wenn ‚Kniet nieder zum Gebet, Tschako ab!‘ kommandiert worden wäre, und dann hat sie ihn ganz leise etwas gebeten, und er hat etwas darauf geantwortet, was ich mir beides wörtlich gemerkt habe, weil es so schwer verständlich ist; nämlich sie hat gesagt:‚Ach, wenn man nur den erlösenden Gedanken fände!‘ und er hat geantwortet: ‚Nur ein reiner, ungebrochener Liebesgedanke kann uns die Erlösung bringen!‘ Offenbar hatte er das zu persönlich aufgefaßt, denn sie hat bestimmt den erlösenden Gedanken gemeint, den sie für ihr großes Unternehmen braucht –: Was lachst du? Tu dir nur keinen Zwang an, ich habe nun einmal immer schon meine Eigenheiten gehabt, und jetzt habe ich mir in den Kopf gesetzt, ihr zu helfen! Das muß sich machen lassen; es gibt so viele Gedanken, und einer muß schließlich der erlösende sein! Du mußt mir bloß an die Hand gehn!«
»Lieber General,« wiederholte Ulrich »ich kann dir bloß noch einmal sagen, du nimmst das Denken zu ernst. Aber da du Wert darauf legst, kann ich dir ja zu erklären versuchen, wie ein Zivilist denkt, so gut ich es vermag.« Sie waren an die Zigarren gelangt, und er begann: »Du bist erstens auf einem falschen Weg, General; der Geist ist nicht im Zivil zu finden, und das Körperliche beim Militär, wie du glaubst, sondern es verhält sich genau umgekehrt! Denn Geist ist Ordnung, und wo gibt es mehr Ordnung als beim Militär? Alle Halskragen haben dort eine Höhe von vier Zentimetern, die Zahl der Knöpfe ist genau festgesetzt, und selbst in den träumereichsten Nächten stehen die Betten schnurgerade an den Wänden! Die Aufstellung einer Eskadron in entwickelter Linie, die
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