Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
Polster berührte, drang eine wirre wiegende Bewegung in sie ein. Der Wagen war geschlossen, und Soliman benützte ihre zurückgelehnte Lage, um die breiten Stempelkissen seines Mundes auf ihre Lippen zu drücken; man konnte es wohl durch die Fenster beobachten, aber der Wagen flog dahin, und eine Empfindung, die an leichtes Kochen einer duftenden Flüssigkeit erinnerte, ergoß sich aus den schaukelnden Polstern in Rachels Rücken.
Der Mohr ließ es sich auch nicht nehmen, vor dem Hotel aufzufahren. Die Hausknechte in schwarzen Seidenärmeln und grünen Schürzen grinsten, als Rachel aus dem Wagen stieg, der Portier spähte durch die Glastür, während Soliman zahlte, und Rachel glaubte, daß das Pflaster unter ihren Füßen nachgebe. Aber dann kam ihr doch vor, daß Soliman in dem Hotel großen Einfluß besitzen müsse, denn niemand hielt sie an, während sie durch die riesige Säulenhalle schritten. In der Halle saßen einzelne Herrn und folgten Rachel aus den Klubsesseln mit ihren Blicken; sie schämte sich nun wieder sehr, aber dann stieg sie die Treppe hinauf, und schon bemerkte sie die vielen Stubenmädchen, die ebenso schwarz wie sie, mit weißen Häubchen, nur etwas weniger zierlich gekleidet waren, und da wurde ihr nicht anders zumute wie einem Forscher, der durch eine unbekannte, vielleicht gefährliche Insel irrt und zum erstenmal auf Menschen stößt.
Danach sah Rachel zum erstenmal in ihrem Leben die Wohnräume eines vornehmen Hotels. Soliman schloß zunächst alle Türen ab; dann fühlte er sich bemüßigt, seine Freundin abermals zu küssen. Diese Küsse, die in letzter Zeit zwischen Rachel und Soliman gewechselt wurden, hatten etwas von der Glut der Kinderküsse; sie waren eher Bekräftigungen, als daß sie gefährliche Schwächungen gewesen wären, und auch jetzt erschien Soliman beim ersten Alleinsein in einem verschlossenen Zimmer nichts so dringend, wie daß er dieses Zimmer noch romantischer verschließe. Er ließ die Fensterladen fallen und verstopfte die nach außen führenden Schlüssellöcher. Auch Rachel war von diesen Vorbereitungen zu aufgeregt, um an anderes zu denken als an ihren Mut und die Schande einer möglichen Entdeckung.
Sodann wurde sie von Soliman zu den Schränken und Koffern Arnheims geführt, und alle waren offen, bis auf einen. Es war also klar, daß nur in diesem das Geheimnis verborgen sein könne. Der Mohr zog die Schlüssel der offenen Koffer ab und erprobte sie. Keiner sperrte. Dabei plapperte Soliman unaufhörlich; sein ganzer Vorrat an Kamelen, Prinzen, geheimnisvollen Kurieren und Verdächtigungen Arnheims kam ihm aus dem Mund. Er borgte sich von Rachel eine Haarnadel aus und versuchte, daraus einen Dietrich zu formen. Als es vergeblich blieb, riß er alle Schlüssel aus den Schränken und Kommoden, breitete sie vor seinen Knien aus, hockte nachdenklich vor ihnen und ließ eine Pause eintreten, um einen neuen Entschluß zu fassen. »Da siehst du, wie er sich vor mir versteckt!« sprach er zu Rachel, seine Stirn reibend. »Aber ich kann dir ja ebensogut zuerst auch alles andere zeigen.«
Er breitete also den verwirrenden Reichtum von Arnheims Koffern und Schränken einfach vor Rachel aus, die auf dem Boden kauerte und neugierig, die Hände zwischen die Knie geklemmt, auf diese Gebilde starrte. Die intime Garderobe eines von den feinsten Genüssen verwöhnten Mannes war etwas, das sie noch nicht gesehen hatte. Ihr gnädiger Herr war gewiß nicht schlecht gekleidet, aber er hatte weder Geld für die verfeinertsten Erfindungen der Kleider- und Wäschemacher, Haus- und Reiseluxuserzeuger noch ein Bedürfnis danach, und selbst die gnädige Frau besaß beiweitem keine so verwöhnten, damenhaft zarten und schwierig zu gebrauchenden Dinge wie dieser unermeßlich reiche Mann. Etwas von Rachels schauerlicher Achtung vor dem Nabob erwachte wieder in ihr, und Soliman brüstete sich mit dem gewaltigen Eindruck, den er durch den Besitz seines Herrn erregte, riß alles hervor, ließ alle Apparate spielen und erklärte eifrig alle Geheimnisse. Rachel wurde allmählich müde, als sich ihr plötzlich eine sonderbare Wahrnehmung aufdrängte. Sie erinnerte sich genau, daß seit einiger Zeit doch auch in Diotimas Wäsche und Hausrat ähnliche Dinge auftauchten. Sie waren nicht so zahlreich und kostbar wie diese hier, aber wenn man sie mit der früheren klösterlichen Einfachheit verglich, so waren sie entschieden dem gegenwärtigen Anblick verwandter als der strengen Vergangenheit. In
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