Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
die Augen.
    »Nein« wehrte Gerda ab. Aber sie wandte den Blick ab, und traurig sah Ulrich – als ob sie durch dieses Wegdrehen der Augen erst wieder vor ihm emporgehoben würde – die schwer atmende, nicht schöne und nicht häßliche Figur des jungen Mädchens vor sich stehn. Er seufzte tief und durchaus aufrichtig.

104

Rachel und Soliman auf dem Kriegspfad
    ZWISCHEN DEN HOHEN Aufgaben des Hauses Tuzzi und der Fülle von Gedanken, die sich dort versammelten, wirkte ein schlüpfender, beweglicher, begeisterter, undeutscher Mensch. Und doch war diese kleine Kammerzofe Rachel wie die Mozartische Musik zu einer Kammerzofe. Sie öffnete den Eingang und stand mit halb ausgebreiteten Armen bereit, den Überrock in Empfang zu nehmen. Ulrich hätte dabei manchesmal gerne gewußt, ob sie von seiner Zugehörigkeit zum Hause Tuzzi überhaupt Kenntnis genommen, und suchte ihr in die Augen zu sehn, aber Rachels Augen wichen entweder seitwärts aus oder hielten seinem Blick wie zwei blinde Samtfleckchen stand. Er glaubte sich zu erinnern, daß ihr Blick, als er ihm zum erstenmal begegnete, anders gewesen sei, und beobachtete einigemale, daß bei solcher Gelegenheit ein Augenpaar aus einer dunklen Ecke des Vorzimmers wie zwei große weiße Schneckenhäuser auf Rachel zuwanderte; dies waren Solimans Augen, aber die Frage, ob vielleicht dieser Junge die Ursache von Rachels Zurückhaltung sei, wurde unschlüssig dadurch beantwortet, daß Rachel dessen Blick ebensowenig erwiderte und sich still zurückzog, sobald der Besucher gemeldet war.
    Die Wahrheit war romantischer, als Neugierde es ahnen konnte. Seit es Solimans eigensinnigen Verdächtigungen gelungen war, Arnheims strahlende Erscheinung in dunkle Machenschaften zu verwickeln, und auch Rachels kindliche Bewunderung für Diotima unter dieser Veränderung gelitten hatte, sammelte sich alles, was sie an leidenschaftlichem Verlangen nach guter Aufführung und dienender Liebe in sich trug, auf Ulrich. Da sie, von Soliman überzeugt, daß man die Vorgänge in diesem Haus überwachen müsse, fleißig an den Türen und während der Bedienung lauschte, auch manches Gespräch zwischen Sektionschef Tuzzi und seiner Gemahlin behorcht hatte, war ihr die Stellung, halb feindlich, halb geliebt, die Ulrich zwischen Diotima und Arnheim innehatte, nicht fremd geblieben und entsprach ganz ihrem eigenen, zwischen Auflehnung und Reue schwankenden Gefühl für die ahnungslose Herrin. Sie erinnerte sich nun auch sehr gut, schon lange bemerkt zu haben, daß Ulrich von ihr etwas wünsche. Es kam ihr nicht in den Sinn, daß sie ihm gefallen könnte. Sie hoffte wohl beständig seit sie verstoßen war und ihren Leuten in Galizien zeigen wollte, wie weit sie es trotzdem bringen werde – auf einen Haupttreffer, eine unerwartete Erbschaft, auf die Entdeckung, daß sie das weggelegte Kind vornehmer Leute sei, auf die Gelegenheit, einem Fürsten das Leben zu retten, – aber auf die einfache Möglichkeit, daß sie einem Herrn, der bei ihrer Herrin verkehrte, gefallen, von ihm zur Geliebten gemacht oder gar geheiratet werden könnte, war sie niemals gekommen. Sie hielt sich darum bloß bereit, Ulrich einen großen Dienst zu erweisen. Sie und Soliman waren es gewesen, die dem General eine Einladung geschickt hatten, nachdem es zu ihrer Kenntnis gekommen war, daß Ulrich mit ihm befreundet sei; allerdings geschah es auch deshalb, weil man die Dinge ins Rollen bringen mußte und ein General nach der ganzen Vorgeschichte als eine dazu sehr geeignete Persönlichkeit erschien. Aber weil Rachel in einem verborgenen, hausgeisterhaften Einvernehmen mit Ulrich handelte, war es nicht zu vermeiden, daß zwischen ihr und ihm, dessen Bewegungen sie neugierig überwachte, jene überwältigende Übereinstimmung entstand, durch die alle heimlich beobachteten Bewegungen seiner Lippen, Augen und Finger zu Schauspielern wurden, an denen sie mit der Leidenschaft des Menschen hing, der sein unscheinbares Sein auf eine große Bühne gestellt sieht. Und je nachdrücklicher sie bemerkte, daß diese Wechselbeziehung ihren Busen nicht weniger heftig preßte, als es ein enges Kleid tut, wenn man vor einem Schlüsselloch hockt, desto verworfener kam sie sich vor, weil sie Solimans gleichzeitigem dunklen Werben nicht fester widerstand; das war der Ulrich so unbekannte Grund, warum sie seiner Neugierde mit der ehrfürchtigen Leidenschaft begegnete, sich als ein wohlerzogenes, musterhaftes Dienstmädchen zu zeigen.
    Ulrich fragte sich

Weitere Kostenlose Bücher