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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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achtet Königtum, Adel und Geistlichkeit als Träger des Irrationalen. Denn das Legitime ist einfach, wie alles Große einfach ist und keines Verstandes bedarf. Homer war einfach. Christus war einfach. Es kommen die großen Geister immer wieder auf einfache Grundsätze, ja man muß den Mut haben, zu sagen, auf moralische Gemeinplätze zurück, und alles in allem ist es darum für niemand so schwer wie für wahrhaft freie Seelen, gegen das Herkommen zu handeln.
    Solche Erkenntnisse, so wahr sie sind, sind nicht dem Vorsatz günstig, in eine fremde Ehe einzudringen. So befanden sich die beiden in der Lage von Menschen, die eine herrliche Brücke verbindet, in deren Mitte ein Loch von wenigen Metern das Zusammenkommen verhindert. Arnheim bedauerte es auf das innigste, nicht einen Funken jener Begehrlichkeit zu besitzen, die in allen Dingen die gleiche ist und einen Menschen ebenso in ein unüberlegtes Geschäft wie in eine unüberlegte Liebe hineinreißt, und begann in diesem Bedauern ausführlich von der Begehrlichkeit zu sprechen. Begehrlichkeit ist, um ihm zu folgen, genau das Gefühl, das der Kultur des Verstandes in unserem Zeitalter entspricht. Kein anderes Gefühl richtet sich so eindeutig auf seinen Zweck wie dieses. Es haftet wie ein eingeschossener Pfeil und schwirrt nicht wie ein Vogelschwarm in immer erneute Weite. Es verarmt die Seele, so wie sie das Rechnen und die Mechanik und die Brutalität verarmen. Also sprach Arnheim mißbilligend von der Begehrlichkeit und fühlte sie indes wie einen geblendeten Sklaven im Kellergeschoß rumoren.
    Diotima versuchte es anders. Sie streckte dem Freund die Hand entgegen und bat »Lassen Sie uns schweigen! Das Wort vermag Großes, aber es gibt Größeres! Die wahre Wahrheit zwischen zwei Menschen kann nicht ausgesprochen werden. Sobald wir sprechen, schließen sich Türen; das Wort dient mehr den unwirklichen Mitteilungen, man spricht in den Stunden, wo man nicht lebt…«
    Arnheim pflichtete bei. »Sie haben recht, das selbstbewußte Wort gibt den unsichtbaren Bewegungen unseres Innern eine willkürliche und arme Form!«
    »Sprechen Sie nicht!« wiederholte Diotima und legte die Hand auf seinen Arm. »Ich habe das Gefühl, daß wir einander einen Augenblick des Lebens schenken, indem wir schweigen.« Nach einer Weile zog sie die Hand wieder zurück und seufzte: »Es gibt Minuten, in denen alle verborgenen Edelsteine der Seele offenliegen!«
    »Es wird vielleicht eine Zeit kommen,« ergänzte Arnheim »und es sind viele Anzeichen vorhanden, daß sie schon nahe ist, wo die Seelen sich ohne Vermittlung der Sinne erblicken werden. Die Seelen vereinen sich, wenn sich die Lippen trennen!«
    Diotimas Lippen schürzten sich und bildeten die Andeutung einer kleinen schiefen Röhre, wie sie ein Schmetterling in die Blüten senkt. Sie war geistig schwer berauscht. Es ist ja wahrscheinlich eine Eigenschaft der Liebe wie aller erhöhten Zustände ein leichter Beziehungswahn; überall, wohin Worte fielen, leuchtete ein vielbedeutender Sinn auf, trat wie ein verschleierter Gott hervor und löste sich in Schweigen auf. Diotima kannte dieses Phänomen aus einsamen gehobenen Stunden, aber nie vorher hatte es sich so bis zur Grenze des gerade noch erträglichen geistigen Glückes gesteigert; es war eine Anarchie der Überfülle in ihr, eine Leichtbeweglichkeit des Göttlichen wie auf Schlittschuhen, und ihr war einigemal zumute, als müßte sie ohnmächtig hinschlagen.
    Arnheim fing sie mit großen Sätzen auf. Er schuf Verzögerungen und Atempausen. Dann schwankte wieder das ausgespannte Netz bedeutender Gedanken unter ihnen.
    Die Qual in diesem ausgebreiteten Glück war, daß es keine Konzentration zuließ. Es gingen immer erneut zitternde Wellen von ihm aus und weiteten sich zu Kreisen, aber sie preßten sich nicht zur strömenden Handlung aneinander. Diotima war doch schon so weit, daß sie es wenigstens im Geiste zuweilen für zartfühlend und überlegen gehalten hatte, das Fährnis des Ehebruchs der groben Katastrophe einer Zerschmetterung von Lebensläufen vorzuziehen, und Arnheim hatte sich moralisch längst entschieden, dieses Opfer nicht anzunehmen und sie zu heiraten; sie konnten sich also auf die eine oder andere Weise jede Sekunde bekommen, das wußten sie beide, aber sie wußten nicht, wie sie es wollen sollten, denn das Glück riß ihre dazu geschaffenen Seelen in eine solche feierliche Höhe, daß sie dort eine Angst vor unschönen Bewegungen litten, wie sie an Menschen,

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