Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
würde Paul Arnheim vortreten und zum Herrn sprechen: »Herr, wozu?! Die Ichsucht ist die verläßlichste Eigenschaft des menschlichen Lebens. Der Politiker, der Soldat und der König haben mit ihrer Hilfe deine Welt durch List und Zwang geordnet. Das ist die Melodie der Menschheit; Du und ich müssen es zugeben. Den Zwang abschaffen, hieße die Ordnung verweichlichen; den Menschen zum Großen befähigen, obgleich er ein Bastard ist, das erst ist unsere Aufgabe!« Dabei würde Arnheim bescheiden zum Herrn lächeln, in ruhiger Haltung, damit man nicht vergesse, wie wichtig es für jeden Menschen bleibt, demütig die großen Geheimnisse anzuerkennen. Und dann würde er seine Rede fortsetzen. »Aber ist das Geld nicht eine ebenso sichere Methode der Behandlung menschlicher Beziehungen wie die Gewalt und erlaubt uns, auf ihre naive Anwendung zu verzichten? Es ist vergeistigte Gewalt, eine geschmeidige, hochentwickelte und schöpferische Spezialform der Gewalt. Beruht nicht das Geschäft auf List und Zwang, auf Übervorteilung und Ausnützung, nur sind diese zivilisiert, ganz in das Innere des Menschen verlegt, ja geradezu in das Aussehen seiner Freiheit gekleidet? Der Kapitalismus, als Organisation der Ichsucht nach der Rangordnung der Kräfte, sich Geld zu verschaffen, ist geradezu die größte und dabei noch humanste Ordnung, die wir zu Deiner Ehre haben ausbilden können; ein genaueres Maß trägt das menschliche Tun nicht in sich!« Und Arnheim würde dem Herrn geraten haben, das Tausendjährige Reich nach kaufmännischen Grundsätzen einzurichten und seine Verwaltung einem Großkaufmann zu übertragen, der natürlich auch philosophische Weltbildung haben müßte. Denn was schließlich das rein Religiöse betrifft, so hat es nun einmal immer zu leiden gehabt, und verglichen mit der Existenzunsicherheit in Kriegerzeiten, würde selbst ihm eine kaufmännische Leitung immer noch große Vorteile bieten.
So also würde Arnheim gesprochen haben, denn eine tiefe Stimme sagte ihm deutlich, daß man auf das Geld ebensowenig verzichten könne wie auf Vernunft und Moral. Eine andere, ebenso tiefe Stimme sagte ihm aber ebenso deutlich, daß man auf Vernunft, Moral und das ganze rationalisierte Dasein kühn verzichten sollte. Und gerade in den schwindelnden Augenblicken, wo er kein anderes Bedürfnis kannte, als einem irrenden Satelliten gleich in die Sonnenmasse Diotimas zu stürzen, war diese Stimme fast die mächtigere. Es erschien ihm dann das Wachsen der Gedanken so fremd und uninnerlich wie das der Nägel und Haare. Ein moralisches Leben kam ihm als etwas Totes vor, und eine verborgene Abneigung gegen Moral und Ordnung machte ihn erröten. Es erging Arnheim nicht anders wie seinem ganzen Zeitalter. Dieses betet das Geld, die Ordnung, das Wissen, Rechnen, Messen und Wägen, alles in allem also den Geist des Geldes und seiner Verwandten an und beklagt das zugleich. Während es in seinen Arbeitsstunden hämmert und rechnet und, sich außerhalb ihrer so benimmt wie eine Horde Kinder, die von dem Zwang des »Also was machen wir jetzt?«, der am Grunde einen bitteren Ekelgeschmack hat, aus einer Übertriebenheit in die nächste gejagt wird, wird es eine innere Mahnung zur Umkehr nicht los. Auf diese wendet es das Prinzip der Arbeitsteilung an, indem es für solche Ahnung und innere Klage besondere Intellektuelle, Beichtende und Beichtiger der Zeit besitzt, Ablaßzettelexistenzen, literarische Bußprediger und Verkünder, die vorhanden zu wissen sehr viel wert ist, wenn man persönlich nicht in die Lage kommt, sich nach ihnen zu halten; und nicht viel anderes als die gleiche Art moralischen Lösegelds bedeuten auch die Phrasen und Geldmittel, die der Staat alljährlich in Kultureinrichtungen versenkt, die keinen Boden haben.
Diese Arbeitsteilung fand sich auch in Arnheim selbst. Wenn er in einem seiner Direktionsbüros saß und eine Absatzberechnung prüfte, würde er sich geschämt haben, anders zu denken als kaufmännisch und technisch; sobald aber nicht mehr das Geld der Firma auf dem Spiel stand, würde er sich geschämt haben, nicht umgekehrt zu denken und die Forderung aufzustellen, daß der Mensch eines anderen Aufstiegs fähig gemach t werden müsse, als auf dem Irrweg der Regelmäßigkeit, Vorschrift, Maßeinheit und dergleichen, dessen Ergebnisse so völlig uninnerlich und im letzten Grunde unwesentlich sind. Es ist keine Frage, daß man diesen anderen Weg Religion nennt; er hatte Bücher darüber geschrieben. In
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