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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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daran gedacht habe, Ulrich an Sohnes Statt an sich zu ziehen. Es wäre gar nicht viel dabei gewesen, ein Gedanke schließlich wie unzählige andere, die man nicht zu verantworten braucht, und wahrscheinlich von irgendeiner Lebenstrauer eingegeben, wie sie am Grunde jedes tätigen Lebens zurückbleibt, weil man nie das findet, womit man zufrieden ist; und vielleicht hatte er den Gedanken überhaupt nicht in dieser anfechtbaren Form gehabt, sondern nur etwas empfunden, dem man diese Form hätte geben können: trotzdem wollte er sich nicht daran erinnern und hatte bloß schreiend deutlich die Vorstellung im Kopf, wenn man Ulrichs Jahre von den seinen abziehe, bleibe kein so großer Unterschied übrig, und dahinter allerdings die schattenhaftere zweite, daß ihm Ulrich als Warnung vor Diotima dienen sollte! Er erinnerte sich, schon öfters sein Verhältnis zu Ulrich so empfunden zu haben wie einen Nebenkrater, an dem man die Unheimlichkeit der Vorgänge erkennt, die sich im Hauptkrater vorbereiten, und es beunruhigte ihn einigermaßen, daß es hier nun zum Ausbruch gekommen war, denn die Worte waren ausgeflossen und bahnten sich ihren Weg ins Leben. »Was soll geschehn,« fuhr es Arnheim durch den Kopf »wenn dieser Mensch annimmt?!« In solcher Weise näherten sich die gespannten Augenblicke ihrem Ende, in denen ein Arnheim auf die Entscheidung eines jüngeren Mannes warten mußte, dem er nur durch seine Einbildung Bedeutung geliehen hatte. Er saß sehr steif da, mit feindlich geöffneten Lippen, und dachte: »Es wird sich schon irgendwie regeln lassen, falls es sich nicht noch vermeiden läßt.«
    Während Gefühl und Überlegung diesen Weg zurücklegten, stand jedoch die Lage nicht still, sondern es folgten Frage und Antwort geläufig aufeinander.
    »Und welchen Eigenschaften« fragte Ulrich trocken »verdanke ich diesen Vorschlag, der kaufmännisch wohl kaum zu rechtfertigen ist?«
    »Sie irren in dieser Frage immer wieder« entgegnete Arnheim. »Dort, wo ich stehe, sucht man die kaufmännische Rechtfertigung nicht in Heller und Pfennig; was ich an Ihnen verlieren könnte, spielt keine Rolle gegenüber dem, was ich zu gewinnen hoffe!«
    »Sie machen mich aufs äußerste neugierig« meinte Ulrich; »daß ich ein Gewinn sein solle, wird mir sehr selten gesagt. Ein kleiner hätte ich vielleicht für meine Wissenschaft werden können, aber selbst da habe ich, wie Sie wissen, enttäuscht.«
    »Darüber, daß Sie ungewöhnlich viel Verstand besitzen,« antwortete Arnheim (immer noch in dem Ton stiller Unerschütterlichkeit, an dem er äußerlich festhielt) »sind Sie mit sich selbst im reinen; das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Aber es wäre sogar möglich, daß wir schärfere und verläßlichere Intelligenzen in unseren Betrieben hätten. Es ist dagegen Ihr Charakter, es sind Ihre menschlichen Eigenschaften, was ich aus bestimmten Gründen dauernd an meiner Seite haben möchte.«
    »Meine Eigenschaften?« Ulrich mußte lächeln. »Wissen Sie, daß mich meine Freunde einen Mann nennen, der keine Eigenschaften hat?«
    Arnheim ließ sich eine kleine Gebärde der Ungeduld entschlüpfen, die ungefähr besagte: »Erzählen Sie mir nichts von sich, was ich längst besser weiß!« In diesem Zucken, das über sein Gesicht bis in die Schulter lief, setzte sich seine Unzufriedenheit durch, während die Worte noch nach Plan und Vorsatz weiterliefen. Ulrich fing diesen Ausdruck auf, und so leicht war er durch Arnheim zu reizen, daß er dem Gespräch nun doch die bisher vermiedene Wendung zu voller Offenheit gab. Sie waren indes wieder aufgestanden, er trat einige Schritte von seinem Gegenüber weg, um die Wirkung besser beobachten zu können, und sagte: »Sie haben mir so viele bedeutsame Fragen gestellt, daß auch ich etwas wissen möchte, ehe ich mich entscheide.« Und auf eine einladende Bewegung Arnheims fuhr er klar und sachlich fort: »Man hat mir erzählt, daß Ihre Teilnahme an allem, was mit der hier im Gange befindlichen ‚Aktion‘ zusammenhängt – und sowohl Frau Tuzzi wie meine Wenigkeit wären da nur ein Zusatz! – der Erwerbung von großen Teilen der galizischen Ölfelder dienen soll?«
    Arnheim war, soviel man in dem schon schlecht gewordenen Licht sehen konnte, bleich geworden und ging langsam auf Ulrich zu. Dieser hatte den Eindruck, sich gegen eine Unhöflichkeit vorsehen zu müssen, und bedauerte, durch seine unvorsichtige Geradheit dem anderen die Möglichkeit gegeben zu haben, eine Fortsetzung des

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