Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
Gesprächs in dem Augenblick abzulehnen, wo sie ihm unangenehm werden mußte: Er sagte darum so liebenswürdig wie möglich: »Ich wünsche Sie natürlich nicht zu beleidigen, aber unsere Aussprache würde nie ihre volle Bedeutung gewinnen, wenn wir sie nicht rücksichtslos führten!«
Diese paar Worte und die Zeit für das kurze Stück Wegs genügten, um Arnheim seine Fassung wiederfinden zu lassen; er trat mit einer lächelnden Bewegung an Ulrich heran, legte ihm die Hand, ja eigentlich den Arm auf die Schulter und sagte vorwurfsvoll: »Wie können Sie einem solchen Börsengerücht aufsitzen!«
»Ich habe es nicht als Gerücht, sondern von jemand erfahren, der gut unterrichtet ist.«
»Ja, ich habe auch schon davon gehört, daß man das erzählt: wie konnten Sie es nur glauben! Natürlich bin ich nicht bloß zu meinem Vergnügen hier; ich kann es mir leider niemals erlauben, daß die Geschäfte ganz ruhen. Und ich will auch nicht leugnen, mit einigen Personen über diese Öllager gesprochen zu haben, wiewohl ich Sie bitten muß, über dieses Zugeständnis Schweigen zu bewahren. Aber alles das ist doch nicht das Wesentliche!«
»Meine Kusine« fuhr Ulrich fort »ahnt von Ihrem Petroleum nicht das geringste. Sie hat von ihrem Gatten den Auftrag empfangen, Sie ein wenig über den Zweck Ihres Aufenthaltes auszuhorchen, weil man Sie hier für eine Vertrauensperson des Zaren hält; aber ich bin überzeugt, daß sie diese diplomatische Mission nicht gut ausführt, denn sie ist sicher, einzig und allein selbst der Zweck Ihrer Anwesenheit zu sein!«
»Seien Sie doch nicht so undelikat!« Arnheims Arm gab Ulrichs Schulter eine freundschaftliche leichte Bewegung. »Nebenbedeutungen laufen vielleicht immer und überall mit; aber Sie haben soeben, trotz der vermeintlichen Satire, mit der ungezogenen Aufrichtigkeit eines Schuljungen darüber gesprochen!«
Dieser Arm auf seiner Schulter machte Ulrich unsicher. Es war eine lächerliche und unangenehme Empfindung, sich umarmt zu fühlen, ja man konnte sie geradezu jämmerlich nennen; aber Ulrich hatte lange Zeit keinen Freund besessen, und vielleicht war es darum auch ein wenig verwirrend. Er würde diesen Arm gern abgestreift haben, und unwillkürlich bemühte er sich darum; aber Arnheim nahm die kleinen Zeichen von Unwillkommenheit wahr und mußte sich anstrengen, um das nicht merken zu lassen, und aus Höflichkeit, weil er Arnheims schwierige Lage mitfühlte, hielt Ulrich still und ertrug die Berührung, die nun immer sonderbarer auf ihn zu wirken begann, wie ein schweres Gewicht, das in einen locker aufgeschütteten Damm einsinkt und ihn entzweireißt. Diesen Wall von Einsamkeit hatte Ulrich, ohne daß er es wollte, um sich aufgerichtet, und nun drang durch eine Bresche das Leben ein, der Puls eines anderen Menschen, und es war ein dummes Gefühl, lächerlich, aber doch ein wenig aufregend.
Er dachte an Gerda. Erinnerte sich, wie schon sein Jugendfreund Walter das Verlangen in ihm erregt hatte, einmal wieder und so zügellos ganz mit einem Menschen übereinstimmen zu können, als ob es in der weiten Welt keine anderen Unterschiede gäbe als die der Zu- und Abneigung. Jetzt, wo es zu spät war, stieg das Verlangen danach wieder in ihm auf, in silbernen Wellen, schien es, wie die Weite eines Stroms hinab die Wellen von Wasser, Luft und Licht zu einem einzigen Silber werden, und so betörend, daß er sich hüten mußte, dem nachzugeben und in seiner zweideutigen Lage ein Mißverständnis hervorzurufen. Aber als sich seine Muskeln steiften, erinnerte er sich, daß Bonadea zu ihm gesagt hatte: »Ulrich, du bist nicht schlecht, du machst dir bloß Schwierigkeiten, gut zu sein !« – Bonadea, die an jenem Tag so erstaunlich klug gewesen war und auch noch das gesagt hatte: »Im Traum denkst du doch auch nicht, da erlebst du!« Und er hatte gesagt: »Ich war ein Kind, so weich wie Luft in einer Mondnacht…«, und erinnerte sich jetzt, daß ihm dabei eigentlich ein anderes Bild vorgeschwebt hatte: die Spitze eines brennenden Magnesiumlichts; denn so wie diese sprühend zu Licht zerrissen wird, glaubte er sein Herz zu kennen, aber das war lange her, und er hatte sich nicht recht getraut, diesen Vergleich auszusprechen, und war dem anderen erlegen; überdies nicht im Gespräch mit Bonadea, sondern mit Diotima, wie ihm soeben einfiel. »Die Unterschiede des Lebens liegen an den Wurzeln sehr nahe beisammen« fühlte er und sah sich den Mann an, der ihm aus nicht sehr durchsichtigen
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