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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Gründen angetragen hatte, sein Freund zu werden.
    Arnheim hatte seinen Arm zurückgezogen. Sie standen jetzt wieder in der Fensternische, wo sie das Gespräch begonnen hatten; unten auf der Straße brannten bereits friedlich die Lampen, aber man spürte die auswirkende Bewegung der Vorgänge, die stattgefunden hatten. Zeitweilig kamen noch zusammengeballte Rudel von Menschen vorbei, sprachen hitzig, und dann und wann sprang auch noch ein Mund auf und stieß eine Drohung aus oder irgendein fackelndes »Huhuh!«, dem Lachen folgte. Man empfing den Eindruck eines Zustands von Halbbewußtsein. Und im Licht dieser unruhigen Straße, zwischen den lotrecht herabfallenden Vorhängen, die das gedunkelte Bild des Zimmers umrahmten, sah er die Figur Arnheims und fühlte er seine eigene dastehen, zur Hälfte hell, zur Hälfte schwarz und von dieser Doppelbeleuchtung leidenschaftlich zugeschärft. Ulrich erinnerte sich der Heilrufe auf Arnheim, die er gehört zu haben glaubte, und mochte jener mit diesen Vorgängen zusammenhängen oder nicht, in der cäsarischen Ruhe, die er, nachdenklich auf die Straße blickend, zur Schau trug, wirkte er wie die beherrschende Figur in diesem Augenblicksgemälde und schien seine eigene Gegenwart darin auch bei jedem Blick zu fühlen. Man begriff neben ihm, was Selbstbewußtsein heißt: Das Bewußtsein vermag nicht, das Wimmelnde, Leuchtende der Welt in Ordnung zu bringen, denn je schärfer es ist, desto grenzenloser wird, wenigstens vorläufig, die Welt; das Selbstbewußtsein aber tritt hinein wie ein Regisseur und macht eine künstliche Einheit des Glücks daraus. Ulrich beneidete diesen Mann um sein Glück. Es schien ihm in diesem Augenblick nichts leichter zu sein, als an ihm ein Verbrechen zu begehn, denn mit seinem Bedürfnis nach Bildhaftigkeit lockte dieser Mann auch diese alten Texte auf die Szene! »Nimm einen Dolch und erfülle sein Schicksal!«: Ulrich hatte diese Worte ganz mit schlechtem schauspielerischen Tonfall im Ohr, aber unwillkürlich richtete er es so ein, daß er mit dem halben Körper hinter Arnheim zu stehen kam. Er sah die dunkle, breite Fläche des Halses und der Schultern vor sich. Namentlich der Hals reizte ihn. Seine Hand suchte in den Taschen der rechten Körperseite nach dem Federmesser. Er hob sich auf die Fußspitzen und senkte seinen Blick an Arnheim vorbei noch einmal in die Straße. Im Halbdunkel draußen wurden die Menschen wie Sand von einer Welle angeschleppt, die ihre Körper bewegte. Irgend etwas mußte ja wohl aus dieser Kundgebung folgen, und so schickte die Zukunft eine Welle voraus, und es fand eine Art überpersönlicher schöpferischer Durchdringung der Menschen statt, aber es war wie immer eine höchst ungenaue und fahrlässige: so ähnlich empfand Ulrich, was er sah, und wurde eine kurze Weile davon festgehalten, aber er war es bis zu Ekelgefühlen müde, daran Kritik zu üben. Er ließ sich vorsichtig wieder auf die Sohlen sinken, schämte sich der Gedankenspielerei, die ihn diesen Weg vorher in entgegengesetzter Richtung hatte zurücklegen lassen, ohne das aber sonderlich wichtig zu nehmen, und fühlte eine große Verlockung, Arnheim auf die Schulter zu tippen und ihm zu sagen: »Ich danke Ihnen, ich habe es satt, ich will etwas Neues versuchen, und ich nehme Ihren Vorschlag an!«
    Da Ulrich aber auch das nicht wirklich tat, kamen die beiden Männer über die Antwort auf Arnheims Anfrage hinweg. Arnheim nahm das Gespräch an einer früheren Stelle wieder auf: »Besuchen Sie manchmal den Film? Sie sollten es tun!« sagte er. »Vielleicht hat er in seiner gegenwärtigen Form noch keine ganz große Zukunft, aber lassen Sie sich erst größere kommerzielle Interessen – etwa elektrochemische oder solche der Farbenindustrie – damit verknüpfen, so werden Sie in einigen Jahrzehnten eine Entwicklung sehn, die durch nichts aufzuhalten ist. Dann setzt der Vorgang ein, wo jedes Mehrungs- und Steigerungsmittel herhalten muß, und was immer unsere Dichter oder Ästhetiker sich einbilden werden, entstehen wird eine Kunst der A. E. G. oder der Deutschen Farbwerke. Es ist entsetzlich, mein Lieber! Schreiben Sie? Nein, ich habe Sie das bereits vorhin gefragt. Aber warum schreiben Sie nicht? Sie haben recht. Der künftige Dichter und Philosoph wird über das Laufbrett der Journalistik kommen! Ist Ihnen noch nicht aufgefallen, daß unsere Journalisten immer besser und unsere Dichter immer schlechter werden? Ohne Frage ist das eine gesetzmäßige Entwicklung;

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